Archiv, Atelier

Vom Papier zum Bild

doku.klasse

Die Erstauflage der doku.klasse ging zu Ende mit der Abschlusspräsentation auf dem 13. doxs!-Festival. Die Teilnehmer demonstrierten ihr in den letzten Wochen erworbenes Wissen am Beispiel eines konkreten Filmprojekts – und hatten für drei Stipendiaten eine gute Nachricht mitgebracht.

Kaum hatten die Teilnehmer der doku.klasse die Bühne im Duisburger Filmforum betreten, um ihre Arbeit zu präsentieren und zu resümieren, sorgten sie für Applaus und drei sehr glückliche Filmemacher-Gesichter im Publikum. Denn sie konnten die Nachricht verkünden, dass zwei der drei in der doku.klasse behandelten Projektideen von ZDF/3sat realisiert werden: “Diego“ von Kristina Konrad und “Ich, Kevin“ von Insa Onken und Gerardo Milsztein. Damit gewinnt die 3sat-Sendereihe „Ab 18!“ zwei frische Stoffe, die nicht nur über starke Protagonisten und Geschichten verfügen, sondern die erstmals von jungen Erwachsenen selbst im Vorfeld intensiv diskutiert und gewissermaßen für gut befunden wurden.

„Wir haben viel gelernt“

Viele Stunden lang hatten die Schüler der doku.klasse die ausgewählten Exposés gewälzt, Einschätzungen gegeben, eigene Ideen eingebracht, zugehört und sich mit den speziellen Ästhetiken und Produktionsweisen von Dokumentarfilmen vertraut gemacht. Bei der Abschlusspräsentation stellten sie ihre Erfahrungen mit der doku.klasse einem breiten Publikum erstmalig vor. Und das Interesse war groß: Neben Schülern mehrerer Duisburger Schulen waren auch die Kooperationspartner und Förderer ins vollbesetzte Filmforum gekommen: die Filmredakteure Katya Mader, Udo Bremer und Daniel Schössler (ZDF/3sat); Johannes Dicke (Leiter der Programmplanung ZDF/3sat), Leopold Grün (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V). und Ruth Schiffer, die Filmreferentin vom Landesministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport.

„Wir haben viel gelernt“, lautete das Fazit der Teilnehmer, die bei ihrer Vorstellung von Aycha Riffi, Referatsleiterin im Grimme-Institut und ebenfalls Kooperationspartnerin der doku.klasse, unterstützt wurden. Es sei spannend gewesen, dokumentarische Projekte und ihre jeweiligen Protagonisten im Konzeptstadium kennenzulernen und eigene Ideen einzubringen. Von den Filmemachern fühlten sie sich ganz und gar ernstgenommen. Es habe eine offene und demokratische Arbeitsatmosphäre geherrscht. Die Mission Mitreden ging auf.

„Handybilder sind das Super 8 unserer Zeit“

Wie der Weg vom Papier zum Bild aussehen kann, demonstrierte die doku.klasse exemplarisch anhand des Films “10 Wochen Sommer“ von Peter Göltenboth und Anna Piltz. Der Film stammt aus der 3sat-Reihe „Ab 18!“ und erzählt vom letzten gemeinsamen Sommer von vier Freundinnen, bevor sie sich in alle Winde zerstreuen. Das Besondere an dem Projekt: Die jungen Frauen filmten sich selbst. Die Teilnehmer lasen Auszüge aus dem Treatment vor, darunter den programmatischen Satz: „Digitale Aufnahmen von Handys sind das Super 8 unserer Zeit.“ Nach der Projektion des Films baten sie Daniel Schössler, der für ZDF/3sat 10 Wochen Sommer redaktionell betreut hatte, sowie die beiden Regisseure und die Protagonistinnen zum Interview.

„Durch den Wechsel von der Erwachsenenperspektive zum Blick der jungen Frauen auf sich selbst wollten wir deren Lebensgefühl direkt Bild und Ton werden lassen“, erklärte Daniel Schössler im Gespräch die ungewöhnliche ästhetische Entscheidung, auf eine „auktoriale“ Kamera zu verzichten. Peter Göltenboth und Anna Piltz konkretisierten die Intention und das Verfahren: „Wir wollten herausfinden, wie die junge Generation lebt und empfindet, ohne dauernd mit einem Kamerateam hinterherzuspringen.“ Zu diesem Zweck verteilten sie mehrere kleine Kameras unter den Protagonistinnen. „Was sie filmten“, so Regisseur Göltenboth, „war ihnen völlig freigestellt. Wir wollten bewusst keine Grenzen setzen.“ Dafür nahm das Filmemacher-Duo auch eine immense Masse an Bildern in Kauf, die aber immer besser und teilweise richtiggehend künstlerisch geworden seien.

„Überfällige Reifung der Erwachsenen“

Bei den Texten, die ein wichtiges stilistisches Element in dem Film sind, gingen Peter Göltenboth und Anna Piltz ähnlich vor wie bei den Bildern. Sie richteten eine anonymisierte Emailadresse ein, an die alle Beteiligten ihre teils emotionalen, teil lyrischen „Briefkasten-Texte“ schicken konnten. „Aus diesem Rohmaterial und aus Interviews, die wir mit den Protagonistinnen geführt haben, schrieben wir dann selbst die Brückentexte.“ Überhaupt machten die Projektverantwortlichen keinen Hehl daraus, dass die Geschichte von “10 Wochen Sommer“ in der Postproduktion verdichtet wurde. Sie sprachen von einem „Kondensat der Wirklichkeit“. Piltz: „Der Film ist fiktional, aber gleichzeitig auch real auf einer anderen Ebene.“

Wie das sei, sich auf der Leinwand in manchmal auch extremen Situationen und Verfassungen zu sehen, fragte ein doku.klasse-Teilnehmer die Protagonstinnen, die zum Zeitpunkt des Drehs um die 17 waren und heute um die 21 Jahre alt sind. „Wir waren in unserer hoch- und spätpubertären Phase damals und haben uns teilweise ganz schön komisch benommen“, antwortete eine und fühlte sich nach eigenem Bekunden „unangenehm berührt“.

Regisseur Göltenboth nahm diese Reaktion auf ein euphorisches und exzessives Jung- und Freisein zum Anlass eines flammenden Plädoyers für eine „überfällige Reifung“ – und zwar auf Seiten der Erwachsenen. „Wir müssen uns entspannen“, sagte er, „und den Jugendlichen mehr vertrauen.“ Auch wenn sie manchmal über die Stränge schlügen, müsse man nicht gleich mit Panik und Verboten reagieren. Auf den Film bezogen: „Ich hatte nie das Gefühl, dass bei unseren Protagonistinnen irgendetwas schiefgehen könnte. Und genau das ist ja auch eingetreten: Alle Vier sind angekommen und gehen ihren Weg.“

Ein schönes Schlusswort und Fazit, das auch für die Teilnehmer der ersten doku.klasse gelten könnte: Sie sind angekommen im Dokumentarischen und kennen ganz genau den Weg vom Papier zum Bild.