Neueste Artikel

Like Father, Like Son

Im Rahmen des Workshops zum Stoff Vaterland von Antje Schneider und Carsten Waldbauer lernt die doku.klasse die beiden Protagonisten des Dokumentarfilmes kennen: den heute 23 Jahre alten Günther (Günni) und seinen Vater Steffen. Anhand der ersten Filmausschnitte wird deutlich: es handelt es sich um eine ganz besondere Vater-Sohn-Beziehung.

Mitten in Deutschland befindet sich ein zweites Amerika: die Ranch von Vater Steffen. Hier lernen Einsteiger das amerikanische Reiten und Fortgeschrittene üben sich darin, Rinder zu fangen. Günni und Steffen trainieren fast täglich das Reiten und das sogenannte Roping. Die beiden Männer leben bereits seit 10 Jahren ohne Günnis leibliche Mutter. Schon vor der Trennung lebte er vor allem nach dem Vorbild seines Vaters – ganz im Sinne eines freiheitliebenden Cowboys.

Antje und Carsten möchten den Betrachter:innen  die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Günni und Steffen zeigen. Denn die enge Verbindung der beiden birgt auch Konfliktpotenzial. Dass sich die Reibung zwischen den beiden Protagonisten auch mal zu einer leichten Rivalität steigern kann, sieht man vor allem an Szenen, in denen die beiden gemeinsam trainieren. Der Ton des Vaters wird da oft rauer und fordernder. Die doku.klasse stellt sich die Frage: Empfindet Günni es als Abhängigkeit vom Vater und wenn ja, wie wird er damit umgehen?

Das bisher entstandene Filmmaterial beantwortet die Frage schon in Ansätzen, zum Beispiel, wenn man Günni dabei beobachtet, wie er am DJ-Pult steht und leidenschaftlich seine Musik mischt. Es scheint ein Teil von seinem Leben zu sein, der von den Wünschen und Erwartungen seines Vaters unberührt bleibt. Günni kann in seine ganz eigene Welt abtauchen. Antje und Carsten gehen der Frage nach, ob sich Günni langsam von seinem Vater entfernt oder ob die Zweisamkeit auch seiner Vorstellung vom Leben entspricht. Da die Filmemacher:innen noch auf der Suche nach möglichen Bildern dafür sind, fragen sie die Teilnehmer:innen der doku.klasse: „Was ist für euch ein Moment, der das Loslösen von den Eltern verbildlicht? Habt ihr eine Situation vor Augen, die diesen Zustand beschreiben kann?“ Einer Teilnehmerin fällt etwas aus ihrer eigenen Erfahrung dazu ein: „Ich glaube, vor allem die räumliche Trennung war bei mir das Ausschlaggebende, das mich zu einer eigenständigen Person gemacht hat.“ Und auch Günni ist gerade dabei sich eine eigene Wohnung am Hof zu schaffen. Eine andere Teilnehmerin berichtet, dass das gemeinsame Essen mit der Familie plötzlich im Alltag wegfiel, als sie anfing für sich selbst zu kochen. Derzeit verbringen Günni und Steffen gerne gemeinsam einen Abend auf der Couch, schauen Filme und bestellen sich Pizza. Günni sehnt sich aber auch immer öfter danach, mit seiner Freundin Zeit zu verbringen oder ein Eis essen zu gehen. Antje und Carsten müssen nun für sich entscheiden, welche Situationen sie genauer unter die Lupe nehmen wollen.

Günni und Steffen tragen ihr gegenseitiges Versprechen auf ewigen Zusammenhalt als Tätowierung auf der Haut: Dasselbe Bild, jeder Strich, bis ins kleinste Detail. Zum Tattoo-Termin haben die Protagonisten die Filmemacher:innen nicht eingeladen, weil ihnen die Symbolschwere dieser Situation nicht bewusst war. 2023 möchten Vater und Sohn in die Staaten fliegen, um gemeinsam bei einem Roping Wettbewerb anzutreten. Die doku.klasse wünscht Antje Schneider und Carsten Waldbauer, dass sie bei diesem Event und anderen Gelegenheiten viele weitere, aussagekräftige Bilder einfangen können und freut sich den fertigen Film zu sehen.

Wenn Plan B nicht funktioniert, gibt es eben Plan C

Kilian Helmbrechts zweiter doku.klasse-Stoff handelt von einer Odyssee auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Das Treatment liefert mehrere Szenarien und Optionen, wie sich die Suche gestalten könnte. Ein Kernelement des dokumentarischen Arbeitens wird hier bereits offengelegt. 

Große Klappe 2022

Auf die Frage, wie er mit der Ungewissheit beim Filmemachen umgeht, antwortet Kilian selbstbewusst: „Ich muss mir die Erlaubnis geben zu scheitern.“ Sein Projekt Gesundbrunnen” erfordert eine große Flexibilität, denn es ist unklar, wie schnell sein Protagonist nach dem Studium eine Wohnung finden wird. Die Aussichten sind eher schlecht: 500 Euro für 8 Quadratmeter. Die explodierenden Mietpreise und der knappe Wohnraum machen es fast unmöglich, in Großstädten bezahlbar leben zu können. Das Thema findet sofort großen Anklang in der doku.klasse. Auch wenn man nicht wie Raffly in Berlin wohnt, sei die Geschichte total nachvollziehbar. Die Teilnehmer*innen berichten von ihren eigenen Erfahrungen bei WG-Castings und enttäuschenden Besichtigungen.

Einige können auch bestätigen, dass es mit einem nicht deutsch klingenden Namen schwieriger sei, eine positive Rückmeldung zu bekommen. Diese zusätzlichen Hürden und der Alltagsrassismus zwingen Raffly verschiedene Strategien der Anpassung zu entwickeln. Er wechselt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten in der Uni, seiner indonesischen Familie, der muslimischen Gemeinde, in seinem Berliner Freundeskreis oder in Bewerbungskontexten. Laut Regisseur sollen diese Diskrepanzen sichtbar, aber nicht zur Schau gestellt werden. Besonders wichtig ist Kilian Helmbrecht die Frage nach der Repräsentation. Da sein Blick auf den “echten” Raffly immer verstellt sei, will er ihn dazu selbst befragen und zu Wort kommen lassen.

Die doku.klasse erhält die Möglichkeit, erste Aufnahmen zu sichten, wie Raffly sich in seinem Studentenheim einrichtet. Das Publikum beobachtet ihn beim Auspacken der Matratze oder auch wenn Kilian ihm das Mikrofon ansteckt. Seine Fragen an Raffly sind aus dem Off hörbar. Gemeinsam bespricht die doku.klasse die Präsenz von Filmemacher*innen im Dokumentarfilm. Im Gegensatz zur beobachtenden Kamera, als Fliege an der Wand, soll die Kamera in dem Stoff nicht verborgen bleiben. Der Filmemacher ist inspiriert vom Cinema verité und möchte die eigene Präsenz im Film transparent machen. Er verweist in dem Kontext auf den Dokumentarfilm NO FUTURE – Kein Bock auf Illusionen (1981) von Michael Braun. Darin werden Punks in Duisburg und ihr Umfeld auf authentische Weise porträtiert, während der Regisseur selbst im Bild zu sehen. Für Kilian Helmbrecht bedeutet das, dass initiierte Momente miterzählt und keinesfalls kaschiert werden. So soll etwa transparent gemacht werden, wenn das Filmteam ins Geschehen eingreift und fragt, ob es beim WG-Casting dabei sein und filmen darf. Die doku.klasse hinterfragt dabei, ob die Präsenz der Kamera nicht einen Einfluss auf Rafflys Chancen bei der Wohnungssuche haben könnte, findet den transparenten Umgang aber sehr positiv. 

 Verständnis gegenüber den Protagonisten aufzubringen, lernte Kilian Helmbrecht unter anderem bei den Dreharbeiten zu Einmannland, der 2016 in der doku.klasse besprochen wurde. Die Erfahrung, in dem Film selbst Protagonist gewesen zu sein, helfe ihm, Respekt vor den Protagonist*innen zu haben. Die doku.klasse bleibt gespannt auf das Ergebnis und wünscht Raffly viel Erfolg für sein kompliziertes Vorhaben.




Ich bin nicht nur ich, sondern ich bin die Tiere

Der aktuelle Stoff WIR TIERE von Angelika Herta konfrontiert die
doku.klasse mit verschiedenen grundsätzlichen Fragen: Warum sieht sich
der Mensch in der Hierarchie häufig an oberster Stelle? Warum
identifizieren sich viele Menschen überhaupt nicht als Tiere? Wie gestaltet
sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Tier?

Weiterlesen

Das Bild in der Hand

2017 waren Andreas Bolm und Gerd Breiter mit “Mein letztes Video” zu Gast in der doku.klasse. Darin porträtieren sie einen erfolgreichen YouTuber. Im Rahmen des von der Duisburger Filmwoche und doxs! gemeinsam veranstalteten 3sat Extras „Das Bild in der Hand“ gab es im November 2022 ein Wiedersehen mit Andreas Bolm. Auszüge aus dem Gesprächsprotokoll.

Schon immer war die Medienkompetenz von Protagonist*innen eine Herausforderung dokumentarischen Arbeitens – durch die Omnipräsenz und Demokratisierung der Bilder in den Sozialen Medien hat sie eine neue Qualität erreicht. Wie gehen Dokumentarfilmer*innen damit um? Wie und wie so jemanden porträtieren, der bereits eigenständig ein Bild von sich in die Welt sendet? Welches Potenzial liegt in der vermeintlichen Konkurrenz der Bildregime? 

Diese Fragen diskutieren Andreas Bolm und die Editorin Yana Höhnerbach (Searching Eva) in dem 3sat Extra Das Bild in der Hand. Dokumentarische Zugänge zum Bildregime Social Media, das von der SPIEGEL-Redakteurin Hannah Pilarczyk moderiert wird.

 Nach einem Ausschnitt aus Mein letztes Video, in dem die Hauptfigur Anton sagt, sie wolle Regisseur werden, fragt Pilarczyk Bolm: „Wie begegnet man einem Protagonisten, der eigentlich schon Regisseur ist?“ Bolm war bis zu einem gewissen Grad eher neugierig an Anton. Er hat sich sehr viel mit Fiktion und Inszenierung von Social Media auseinandergesetzt. Anton ist Profi in dieser Selbstdarstellung. „In welchen Momenten hat Anton kontrolliert?“ will Pilarczyk wissen. Bolm: „In allen.“ Manchmal hat er versucht, ihn ein bisschen aufs Glatteis zu führen.

Anton sagte: „Man kann alles machen, man muss es nur wollen“. Bolm und sein Co-Regisseur und Kameramann Gerd Breiter wollten dies hinterfragen im Konzept, aber der Plan ging nicht auf. Man hätte sich auch eine Schauspielrolle für Anton ausdenken können, er wäre dafür bereit gewesen.

Ein weiterer Ausschnitt aus dem Film zeigt den Protagonisten, wie er seinen Karrierewechsel in Hollywood anstrebt. Als er diese Entscheidung für seine Follower*innen auf einer Wohnungsterrasse aufzeichnet, filmt ihn das Filmteam. Man hört Hubschrauber und Polizeisirenen. Anton: „Von daher – Los Angeles wird gelebt.“

Pilarczyk sieht in dieser Einstellung ein „Pas de deux“ der zwei Kameras – wie sind Bolm und sein Team da vorgegangen?

Bolm erzählt, dass Anton zu diesem Zeitpunkt mit Youtube aufhören und Hollywood-Blockbuster-Regisseur werden wollte. Er fand diese Leidenschaft faszinierend, „wie Anton in etwas Neues hineingeht.“ Mit langen Einstellungen und dem Mitgehen der Kamerabewegung Antons brachen die beiden Kameraästhetiken auf. Es entsteht im Film eine Spannung, die konträr läuft zu dem, was Anton macht, der sich in seinen Videos immer selbst inszeniert. „Wie konnten sie sich da mit Antons ästhetischen Vorgaben arrangieren?“, fragt Pilarczyk. Bolm sagt, Anton kannte Gerd Breiter schon und hatte Respekt vor dessen Kameraarbeit, also gab es keine Vorgaben. Sie hätten zwar viele Interviews geführt, aber genau bei diesen Bewegungen konnte man mehr über Anton ergründen.

Das komplette Protokoll von Marius Hrdy findet sich auf protokult.de.




Die Stipendiat*innen der doku.klasse 2022

Voller Vorfreude begrüßen wir die neuen Stipendiat*innen des neunten Jahrgangs der doku.klasse! Auch in diesem Jahr wurden viele spannende und interessante Themen eingereicht. Angelika Herta, Antje Schneider & Carsten Waldbauer und Kilian Helmbrecht konnten mit ihren Stoffen besonders überzeugen.

„Auch wenn man inszeniert, passiert etwas, was über die Inszenierung hinausgeht“

Die Referenz erweisen (9): Im letzten Podcast unserer Reihe „Referenz erweisen“ spricht der Filmemacher Volko Kamensky mit Andreas Bolm. Gemeinsam mit Gert Breiter war als er in der doku.klasse 2017 zu Gast.

„In JABA war für mich der Vater des Protagonisten ein „Marlon Brando“-Typ, ich wollte ihn so sehen, so filmen. Ich wollte die Protagonist*innen cinematografisch dorthin bringen, und gleichzeitig aus ihren Gesten etwas herausarbeiten, was sehr fiktiv ist und dennoch mit ihnen zu tun hat.“

Weiterlesen

Was ist eigentlich echt?

Ein Thema, das an grundsätzliche Fragen des Dokumentarischen rührt: Im Workshop mit Katharina Pethke ging es um die Virtualisierung der Wirklichkeit und die Frage: Wie stellt man das dar?

Katharina Pethke ist die Arbeit mit der doku.klasse schon bestens vertraut. 2018 stellte sie hier ihr Projekt Dazwischen Elsa vor. Die Protagonistin damals stand vor der Frage, für welche der vielen Lebensmöglichkeiten sie sich entscheiden soll. Auch Lale, Pethkes Hauptfigur im neuen Stoff, bewegt sich in einem Feld des Dazwischen: zwischen physischer und digitaler Realität.

Das Model möchte sich klonen lassen, um mehr Zeit für andere Dinge im Leben zu haben. An dieser Idee eines digitalen Avatars für Online-Laufstege und die Social-Media-Präsenz entzündete sich in der Klasse eine lebhafte Diskussion darüber, was echt ist und was virtuell, gipfelnd in der Frage: »Ist der Unterschied zwischen der digitalen und der echten Lale für euch überhaupt wichtig?«

Katharina Pethke entschied sich für das Projekt, auch wenn dabei Produktionsschwierigkeiten vorhersehbar sind. Der Filmemacherin schwebt eine ästhetische Lösung vor, bei der die Grenzen von Dokumentarfilm und Science-Fiction in einer hybriden Form aufgebrochen werden – ein höchstwahrscheinlich sehr zeit- und kostenintensives Vorhaben. Doch nicht nur der Faktor Realität kommt in der Klasse zur Sprache, sondern auch die Frage: »Wem gehört später die virtuelle Lale?« Diskutiert wird vor allem, welche Rolle Vincent, der Designer der digitalen Doppelgängerin, im Film einnehmen soll.

Noch haben die Dreharbeiten nicht begonnen, noch ist viel Raum für Ideen. Wichtig, so Pethke, sei für sie der politische Anteil des Films. Sie möchte die Zuschauer*innen zum Denken anregen. Lale solle nicht nur den riesigen Möglichkeitsraum der Digitalisierung aufzeigen, sondern auch die Probleme und Risiken, die damit verbunden sind.