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„Beim Hörstück nehme ich das Publikum mehr mit“

Johanna Bentz hat im Rahmen der Kooperation zwischen der doku.klasse und Deutschlandfunk Kultur eine Hörstückfassung ihres Films Bella Palanka realisiert. Darin porträtiert sie den 22-jährigen Emrah, der in dem serbischen Dorf Bela Palanka in einem Auffanglager für abgeschobene Straftäter aus Deutschland und Österreich lebt. Im Interview spricht die Regisseurin über die Unterschiede zwischen Film und Hörstück und die Freiheit, zwischen den Medien zu wandern.

Du arbeitest als Filmemacherin, hast aber auch schon mehrere Features für das Radio realisiert. Entwickeln sich Film- bzw. Radioprojekte parallel?
Das ist ganz unterschiedlich. Wenn ich einen Stoff habe, ruft der manchmal eher „Film“ oder eher „Radio“. In manchen Fällen ist es so, dass du mit dem Mikrofon näher an die Menschen rankommst, weil sie weniger Angst haben, weil man besser mit Anonymität oder solchen Bedürfnissen umgehen kann. In wieder anderen Fällen sind die Geschichten einfach sehr visuell, dann fehlt im Feature diese Bild-Ebene. Das muss man dann anders kompensieren, erzählen, erklären. Das ist halt der Vorteil, wenn man mit einer Kamera da ist.

Sind das größere Freiheiten im Hörfunk, nur mit dem Mikrofon, als wenn man mit einer Kamera oder einem Team unterwegs ist?
Es sind auf jeden Fall andere Möglichkeiten. Ich glaube, diese inneren Bilder zu erschaffen, nur durch Ton, das ist noch einmal eine andere kreative Herausforderung, weil wir ja normalerweise immer in Bild und Ton denken. Allein die Sätze, die ich schreibe, die dann meine Erzählerin spricht, sind ja auch Radiosprache, keine Print-Sprache. Sie sind kürzer, klingender, haben eine andere Offenheit. Man versucht, im Kopf einen Eindruck, eine Atmosphäre entstehen zu lassen, auch weil man im Tonschnitt viel parallel und nebeneinander montieren kann.

Während du in deinem Film „Bella Palanka“ den Protagonisten Emrah begleitest, beobachtest und viele Situationen offen lässt, bist Duals Autorin des Features, als Erzählerin und Regisseurin, viel präsenter. War das eine Idee?
Ich finde im Film hat so ein Kommentar in den seltensten Fällen die Qualität, die er im Radio hat, weil er ganz oft aus einer Notwendigkeit und aus so einem Erklär-Duktus heraus entsteht. Ich finde interessant, wenn es um eine Haltung geht. Die findest du auch im Film, die ist da vielleicht subtiler, aber die Montage, die Auswahl der Bilder und meine Fragen erzählen genauso meine Haltung wie im Feature. Emrah ist ja jemand, der stark auf seine Außenwirkung achtet, und der sehr stark versucht hat, durch die Art, wie er sich inszeniert, wie er sich darstellt, wie er sich gibt, einen bestimmten Eindruck zu hinterlassen. An diesem glatten Image musste ich schon ein bisschen kratzen. Ich glaube als Filmemacherin schon daran, dass der Zuschauer klug ist und sich seinen eigenen Eindruck machen kann, dennoch lenke ich das natürlich bewusst. Beim Radio ist es so, dass ich den Hörer viel mehr mitnehme, weil es eine größere Intimität ist. Es ist ja auch die „Verabredung im Radio“, dass du intimer bist, und die Bilder, die musst du ja anders herstellen, all die subtilen Eindrücke, die du beim Bild hast.

Das was im Film die Bilder von Bella Palanka zeigen, erzählst du im Feature mit Deinen Texten, Kommentaren, Beschreibungen, und über Geräusche, Soundscapes. Man hatte beim Hören den Eindruck, dass man mehr über Emrahs Leben, Vorgeschichte und Familie erfährt. Stimmt das? 
Eigentlich alle Fakten über die Familiengeschichte werden auch im Film erzählt, vielleicht kommen die anders an. Das Manuskript für das Feature ist entstanden, als der Film fertig geschnitten war. Natürlich ist das eine komplettere Geschichte, weil ich ja meine Haltung benenne und bekenne. Und auch diese Gedanken, die im Film nicht vorkommen, meine Zweifel darüber, was mir Emrah anfänglich erzählt hatte. Das war eine bewusste Entscheidung, das nicht im Film zu bringen. Das war kein leichter Prozess: Ich hatte herausgefunden, dass er sich gefährlicher dargestellt, als er ist – um sich im Hotel die Leute vom Leib zu halten. Aber er hatte sich eine Geschichte ausgedacht. Er hatte sich zum harten Gangster gemacht. Das fand ich als Motiv sehr interessant, doch das konnte ich in der Zeit des Films, 45 Minuten, nicht erzählen. Da dann nur hängenbleiben wäre: „Der hat gelogen“ – und damit hätte ich ihm jegliche Glaubwürdigkeit genommen. Er war ja in vielen anderen Dingen sehr aufrichtig, ehrlich und mutig, das darf man nicht vergessen. Im Feature konnte ich das anders erzählen, weil ich da meine Gedanken deutlicher mitteilen konnte, dosierter die Erzählung lenken konnte als im Film.

Wenn man dann nach dem Filmschnitt an so ein Hörstück geht – nimmt man die Bilder im Kopf mit? Oder versucht man, sich davon zu lösen? Wie war da die Zusammenarbeit mit der Redaktion, habt ihr das von Grund auf neu entwickelt?
Es hat mich schon was gekostet, mich wieder an das gleiche Material zu setzen. Aber ich hatte von Anfang an vor, das in Kapiteln zu entwickeln, auch aus der Notwendigkeit heraus, dass du keine stringente Dramaturgie oder Handlung hast. Es gibt ja nicht die „Entwicklung“ irgendwohin.  Und ich fand es gut, diesen Wust an Eindrücken in Kapiteln zu ordnen. Und dann habe ich die erste Fassung geschrieben, womit mein Redakteur schon sehr zufrieden war. Wir haben dann über die Geschichte mit den Dokumenten gesprochen, dass sich ganz am Schluss herausstellt, dass Emrahs Papiere nicht gültig sind. Das kam vom Redakteur, dass er das gerne als Szene erzählt haben würde. Da hatte ich zum Glück mitgedacht und unser Telefonat aufgenommen. Das war eine sehr schöne Zusammenarbeit. Für mich ist es beim Radio fast immer der Fall, dass man ein großes Vertrauen hat, und die Redakteurinnen und Redakteure, mit denen ich gearbeitet habe, eigentlich alle meine Handschrift als Autorin schätzen und suchen.

Bei dem Feature arbeitest du mit Schauspielerinnen und Schauspielern. Überhaupt ist die Gestaltung des Materials eine andere, man hört nicht Originalton mit Untertiteln, sondern auch weitere Stimmen (Lisa Hrdina, Alexander Ebeert, Nico Holonics, Ralf Bei der Kellen, Klaus-Michael Klingsporn und Julius Stucke), Musik, Geräusche.
Ganz wichtig war Lisa Hrdina, die die Erzählerin und meine Autorinnenperspektive spricht. Dass da die Besetzung stimmt, war mir ganz wichtig. Zusammen mit dem Besetzungsbüro von DLF habe ich da lange gesucht. Ich finde, dass sie ihre eigene Interpretation entwickelt hat, und als professionelle Sprecherin kann sie anders mit der Stimme umgehen – Dinge, die ich von ihr hören will, anders rauskriegen. Hilfreich war auch, dass ich Lisa den Film zeigen konnte. So konnte sie sich den Ort besser vorstellen.

Die Besetzung ist natürlich wichtig, und der Umgang mit Musik hat auch viel mit Geschmack zu tun, glaube ich. So ein Feature ist ja auch eine andere Herangehensweise. Du arbeitest nicht am Schneidetisch, sondern schreibst erst einmal „trocken“ auf eine Seite: „Szene“, „Einsatz Musik“ und so. Dieser Vorgang erfordert schon sehr viel Vorstellungskraft. Das ist einerseits magisch, aber auf der anderen Seite auch ein Wagnis, wenn man das dann am Schluss im Studio montiert. Das hat mir in dem Fall total viel Spaß gemacht. In jedem Fall sagen die Leute beim Radio, dass man merkt, dass ich von Film kommen, weil ich sehr in Szenen denken und sehr stark gestalte. Andersrum hat mir die Manuskriptarbeit an den Features in den letzten Jahren auch sehr geholfen für die Dramaturgie der Filme. Mein Dreh und Schnittkonzept sind meist schon sehr nah an dem fertigen Film letztendlich.

Dein Feature ist Teil der Sendereihe „18 Plus!“ beim Deutschlandfunk Kultur. Entstanden ist es in Kooperation mit der doku.klasse. Was nimmst du mit aus dieser Arbeit an zwei unterschiedlichen Stücken – Film und Feature?
Es ist natürlich eine große Freiheit, erst einmal einen Stoff anzugucken und zu überlegen: Welche Form braucht der? Die Kombination – eine Auswertung sowohl als Film und als Feature – ist eine schöne Sache, weil man eben diese eigene Sprache für jedes „Werk“ finden muss. Das ist ein kreativer Vorgang, der mir viel Spaß gemacht hat.