Atelier

Ist die Zukunft schon da?

Wenn die Science Fiction den Status Quo überholt: Bei der Abschlusspräsentation der doku.klasse zeigte Katharina Pethke ihren neuen Film “Uncanny me”, der die schier endlosen Möglichkeiten der Digitalisierung auslotet.

Sich als Avatar durch eine Umgebung bewegen, in der die echte und die virtuelle Welt miteinander verschmolzen sind. Als immer perfekt gestylte Wunschversion ihrer und seiner selbst, ohne körperliche Makel. In diesem grenzenlosen Metaverse ist alles möglich. 

Eine Blitzumfrage unter Schüler*innen nach der Projektion des Films im Duisburger Filmforum ergab: Die Angst vor einer alternativen Existenz als Avatar überwiegt. Fast alle Hände gingen hoch, als Moderatorin Aycha Riffi das Publikum befragte. Lale Marie Walter, die Protagonistin aus Uncanny me, fand diese Reaktion „krass“. Viele Menschen träumten doch genau davon, sagte sie: In einen Körper zu steigen, der nicht der ihre ist. Die Entwicklung schreite rasend schnell voran. Schon ihr eigenes digitales Double, das ja auch dazu da sei, den natürlichen Alterungsprozess auszuschalten, könnte bereits in wenigen Jahren technisch veraltet sein. 

Lale arbeitet seit acht Jahren als Model und hat das Leben an der Oberfläche und aus dem Koffer satt. Warum nicht einen Avatar den Job erledigen lassen – wenigstens in Teilzeit? Vinzent Britz, ein Freund von ihr, der als Digital Artist arbeitet, hatte sie angerufen und gefragt, ob sie sich nicht duplizieren lassen wollte. Dies sei ein Trend in der Modebranche, der nicht komplett ignoriert werden sollte. Christoph Rohrscheidt, Produzent und Kameramann von Uncanny me, erfuhr von der Idee und erzählte Katharina Pethke davon und schon war aus der geplanten Selbstdigitalisierung ein kollaboratives Projekt geworden.

Der Film weißt eine enorme Diversität an Materialien auf: Das Videotagebuch, das Lale über ihr privates und berufliches Leben führt, wird flankiert von der beobachtenden Kamera Rohrscheidts. Dazu kommen Computer Recordings, Gaming-Umgebungen und Drohnenaufnahmen. „Es ist interessant, wie man den ganzen Film über zwischen den unterschiedlichen Ebenen schaukelt“, sagte Carsten Waldbauer, der zusammen mit Antje Schneider ein Projekt in der aktuellen doku.klasse 2022 vorstellte. Was für ein Bild sie von sich selbst zeigen wollte, fragte er die Protagonistin. „Niemand ist authentisch vor der Kamera“, erwiderte Lale. Ihr sei es darum gegangen, ihre introvertierte, nachdenkliche Seite zum Ausdruck zu bringen, die in der oberflächlichen Welt, in der sie sich zumeist bewege, nicht sichtbar würde. „Bei uns ist immer alles gestaged, daher war diese dokumentarische Reise sehr spannend für mich.“ 

Katharina Pethke drehte auch Interviews mit ihr, doch diese sind im Film nicht zu sehen. Sie dienten eher dazu, Denkprozesse anzustoßen und zu entfalten. „Wir waren von Anfang an sehr angetan davon, wie offen und reflektiert Lale über sich und ihren Beruf gesprochen hat.“ Die Zusammenarbeit mit der doku.klasse sei für sie total hilfreich gewesen – insbesondere beim Thema Virtualität und Social Media. „Die Teilnehmer*innen haben einen ganz anderen Einblick in diese Welt und ermöglichten mir durch ihre Recherchen u.a. einen Zugang zu bestimmten Apps, den ich ohne sie nicht gehabt hätte.“

Ob die Gesellschaft in der Mehrzahl hinter den technischen Möglichkeiten hinterherhinke, wollte Aycha Riffi wissen. „Definitiv“, sagte Lale. Der Filmprozess habe ihr noch einmal klar gemacht, wie groß der Abstand sei zwischen Politik, Philosophie und Technologie. „Ich fand es frustrierend, dass gebildete Leute oft keine Antworten geben konnten.“ Und das Tempo der Innovationen ist ungebrochen hoch. „Als wir loslegten“, erzählte Katharina Pethke, „waren Metaverse und Avatare ein Science-Fiction-Gedanke. Mittlerweile geht es schon los.“ Christoph Rohrscheidt machte die Entwicklung an einem konkreten Beispiel deutlich: „Man kann heute schon aus 2D-Fotografien 3D-Modellings machen. Die Scans, die wir im Film zeigen, sind also gar nicht mehr nötig.“

Lale hat ihre digitale Kopie bisher noch nicht arbeiten lassen. „Für mich ist Kontrolle wichtig, und ich würde meinen Avatar niemals einfach so weggeben.“