Atelier

Kein Spinner, sondern ein Suchender

doku.klasse

Die doku.klasse mit Andreas Hartmann zu seinem Projekt „Freier Mensch“

Kei hätte den Weg seiner Eltern gehen können, aber er scherte aus. Der Preis dafür ist ein prekäres Leben ohne festen Wohnsitz in Kyoto. Ob der 22-Jährige mit seiner Obdachlosigkeit zufrieden sei, wurde im Workshop gefragt. „Ja“, antwortete Andreas Hartmann, „es war seine freie Entscheidung.“

Das Schicksal des Protagonisten ging den Teilnehmern spürbar nahe. Sein Changieren zwischen der harten Realität auf der Straße und einer warmen Fantasiewelt, in die er sich immer wieder zurückzieht. Hier ist kein Spinner am Werk, sondern ein Suchender. Besonders beeindruckt zeigte sich die Klasse von einem Recherchetrailer Hartmanns, der nicht nur Kei als konkret erlebbare Person vorstellte, sondern auch einen Eindruck von der ästhetischen Agenda des Regisseurs gab. Die Bilder besäßen eine große visuelle Kraft und Poesie, lautete der Tenor, und reichten weit über das reine Fernsehformat hinaus. Für Andreas Hartmann, der Kamera studiert hat, ist der Kern seines visuellen Konzepts Intuition. „Ich verfolge keinen bewussten, vorher ausgearbeiteten Plan. Für mich ist es wichtig, im Moment zu sein und auf den Protagonisten zu reagieren, so wie ich im Augenblick der Aufnahme empfinde.“

Die Workshopteilnehmer nahmen deine Hauptfigur sehr positiv auf und konnten sich mit ihr identifizieren. Hattest du eine solche Reaktion erwartet?
Ich hatte sie mir zumindest erhofft und bin froh darüber. Kei lebt ein völlig anderes Leben, weit weg von uns. Ein Teilnehmer sagte, dass ihm aber genau diese Distanz und Fremdheit geholfen hätten, sich mit ihm eng verbunden zu fühlen. Dazu denke ich, dass der Stoff generelle Fragen anspricht, die jeden beschäftigen, junge Menschen vielleicht noch mehr als ältere. Zum Beispiel: Wie frei kann ich leben? Muss es Begrenzungen geben, um frei sein zu können?

Kei lebt im Spannungsfeld zwischen Prekariat und Freiheit. Thema in der Klasse war es, wie man diese Spannung erzählen könnte.
Ja, diese Diskussion hat mich ziemlich aufgerüttelt und zum Nachdenken gebracht. Wie geht man mit dem Konflikt um, in dem sich Kei befindet? Also dem zwischen seiner inneren, fantasierten Welt in scheinbarer Freiheit einerseits und der äußeren Wirklichkeit, in der er sich mit der Notwendigkeit konfrontiert sieht, Geld zu verdienen und dafür eine gewisse Unfreiheit in Kauf zu nehmen. Im Treatment ging ich von Keis Scheitern aus. In der doku.klasse aber kamen wir zu dem Schluss, dass das gar nicht zwangsläufig der Fall sein muss – und der Film eher mit einer offenen Frage enden sollte.

Viel Zustimmung gab es für den Titel des Projekts. Stand er für dich überhaupt noch zur Disposition?
„Freier Mensch“ war bislang lediglich der Arbeitstitel. Insofern war das ein wertvolles Feedback. Den Teilnehmern gefiel die Offenheit des Ausdrucks. „Freier Mensch“ kommt aus dem Japanischen und ist eine Kombination aus den zwei Kanji-Schriftzeichen Jiyu (Freiheit) und Jin (Mensch). Er steht für eine Person, die den gesellschaftlich vorge-sehenen Weg verlassen hat. Ich habe ihn fürs Deutsche adaptiert und bin froh, dass er anscheinend funktioniert.

Hat sich diese Form der Auseinandersetzung mit einem Stoff, wie sie in der doku.klasse praktiziert wird, für dich bewährt?
Auf jeden Fall! Ich wurde über den Dialog mit Aspekten konfrontiert, die ich vorher noch nicht so gesehen hatte. Da waren einige spannende Erkenntnisse für mich dabei. Es war interessant, den Stoff aus der Generation meines Protagonisten gespiegelt zu bekommen. Das gab noch einmal einen anderen Input. Ich will im weiteren Verlauf des Projekts auf jeden Fall mit der doku.klasse in Kontakt bleiben.