Salon

Lernen und ein bisschen Disco

doku.klasse

Es war eine absolute Premiere: Erstmals wurde beim doxs!-Festival ein Film präsentiert, der noch im Jahr davor in der doku.klasse als Stoff diskutiert worden war. Die Spannung war groß, wie „Diego“ von Kristina Konrad den Sprung vom Treatment auf die Leinwand nehmen würde.

Man kann es durchaus als Privileg betrachten, Texte zu lesen, die sonst nur ein eingeschworener Kreis von Leuten in der Produktion und bei 3sat zu Gesicht bekommen. Die doku.klasse hatte dieses Privileg in diesem Jahr schon zum zweiten Mal. Sie diskutierte und analysierte erneut drei Stoffe, die für die Ausschreibung der 3sat-Sendereihe „Ab 18!“ eingereicht worden waren. Eva Hausberger, eine der beteiligten Regisseurinnen, sprach von einer „schönen Erfahrung“. Noch nie sei ein Konzept von ihr dermaßen ausführlich und fundiert auseinandergenommen worden wie in dem Workshop der doku.klasse. „Ich habe dadurch neue Kraft geschöpft“, schwärmte sie. 

Die Österreicherin war wie ihr Regiekollege Andreas Hartmann zur diesjährigen Abschlusspräsentation der doku.klasse nach Duisburg gekommen. Neben ihnen hatten sich auch Schüler mehrerer Duisburger Schulen im Filmforum eingefunden sowie die Kooperationspartner und Förderer: die 3sat-Redakteure Katya Mader und Udo Bremer, Johannes Dicke (Stabsstelle Programmplanung ZDF/3sat), Leopold Grün (Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.), Katrin Moll (Deutschlandradio Kultur) und Ruth Schiffer, die Filmreferentin des Landesministeriums für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport. Wie im Vorjahr führte Aycha Riffi (Grimme-Akademie) durch die Veranstaltung.

„Eine Mischung aus Neugier, Posieren und ein bisschen Show“

Alle Blicke waren auf Kristina Konrad und die Premiere ihres Films „Diego“ gerichtet. Im Herbst 2014 hatte die Schweizer Filmemacherin ihre Geschichte über den jungen Oxford-Studenten in der doku.klasse vorgestellt. „Ich bin sehr neugierig, an der Seite von Diego in die elitäre Welt der Oxford-Universität und der Hochfinanz einzutauchen und sie näher kennenzulernen“, sagte sie damals im Workshop. Der Stoff stieß bei den Teilnehmern auf großes Interesse, auch wenn Diego durchaus nicht allen sympathisch war. Zu selbstbewusst erschien er manchen, zu meinungsstark. Ein Sprössling aus reichem Haus mit neoliberalem Weltbild. 



Kristina Konrad zeigt den Sohn eines Schweizer Finanzindustriellen in ihrem 45-minütigen Porträt zwischen Studium und Sport, Ausgehen und Arbeitstreffen bei einem Freund, mit dem er eine Fotosharing-App entwickelt. Mit „Lernen und ein bisschen Disco“ umriss Konrad den Aktionsradius des heute 23-Jährigen nach dem Screening mit einem Augenzwinkern. In „Diego“ entsteht das Bild eines ehrgeizigen jungen Mannes, der hohe Ansprüche an sich hat und gerne alle Fäden in der Hand behält. Und der ein enges Verhältnis zu seinem Vater pflegt. Die beiden musizieren und baden zusammen, oder sie tauschen sich aus über berufliche Perspektiven und ökonomische Einschätzungen. Konrad zeigt ein junges, dynamisches und privilegiertes Leben zwischen der Studentenbude in Oxford und dem Zweitwohnsitz der Eltern in der Schweiz mit Whirlpool und Blick auf den See.

Zwölf Drehtage hatte die Autorin für ihr Projekt zur Verfügung. Gegen ihre Gewohnheit räumte sie ihrem Protagonisten das Recht ein, den fertigen Film vor der Veröffentlichung zu sehen. „Er hatte null Einfluss auf das Endergebnis, aber er behielt sich die Option eines Vetos vor, sollte der Film ‚katastrophale Folgen‘ für ihn haben.“ Das war nicht der Fall, im Gegenteil. Mit dem Satz „You did a good job“ gab Diego seinen Segen.

„Ich wollte kein Gesamtporträt erzählen, sondern Momente aus Diegos Leben abbilden.“

Über die Gründe, warum er bei dem Film mitgemacht habe, konnte die Regisseurin nur mutmaßen. Wahrscheinlich sei es „eine Mischung aus Neugier, Posieren und ein bisschen Show“ gewesen. Zudem sei sie eine Vertraute der Familie. Der Bruder von Konrad war ein Jugendfreund von Diegos Vaters. Es bestand also von vornherein ein Band zwischen der Regisseurin und ihrem Protagonisten.


Der Film erntete viel Zustimmung, trotzdem blieb für die 15-köpfige doku.klasse die eine oder andere Frage offen. Eine Teilnehmerin vermisste etwa den roten Faden in der Geschichte, eine „Pointe“. Konrad: „Ich habe den Film ganz bewusst fragmentarisch geschnitten. Es ging mir nicht darum, ein Gesamtporträt zu erzählen, das alles abdeckt und eine dramaturgische Entwicklung beschreibt. Ich wollte vielmehr Momente aus Diegos Leben abbilden.“ Aus einem Leben, das in seiner familiären Anlage auf eine straighte Karriere ausgerichtet ist, Konrad zufolge aber genauso in Schleifen verläuft wie bei anderen jungen Leuten auch: Diego hat den Sommer nicht mit der ursprünglich geplanten Vermarktung und Investorensuche für sein App-Projekt verbracht, sondern ist lieber herumgereist. Und für die anvisierte Promotion wird es möglicherweise auch nicht reichen.

Einem anderen Diskutanten fehlte „ein Aspekt des Kritischen“ in dem Film. Die Lebensweise Diegos und seiner Familie, diese „abgehobene Welt“, würden seiner Meinung nach nicht hinreichend kritisch hinterfragt. Die Regisseurin gab offen zu, dass sie mit einer fundierten und systematischen Kritik an der Finanzwelt auch überfordert gewesen wäre. „Das hätte den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen des Projekts gesprengt.“ Eine Festivalbesucherin sprang Kristina Konrad bei: Sie habe den Film gar nicht als unkritisch empfunden. Vielmehr erzähle er in ihrer Wahrnehmung sehr subtil vom Scheitern. „Mir hat ‚Diego‘ jedenfalls sehr gut gefallen.“ Gespräche zum Thema Privilegien und soziale Verantwortung habe es laut Konrad durchaus gegeben. Und trotzdem sei letztendlich im Schnitt die Entscheidung gefallen, diese Passagen wieder herauszunehmen. „Das war Politikergeschwafel, mehr nicht. Ich finde, es sagt mehr aus, wenn wir diesem Leben einfach nur zugucken.“

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