Atelier

Neue Blicke satt

Wäre die doku.klasse ein Wirtschaftsunternehmen, wäre „gesundes Wachstum“ wohl das Stichwort, das diesem Artikel als Überschrift diente. Ist sie aber zum Glück nicht. Stattdessen sagen wir einfach: Die doku.klasse hat Zuwachs bekommen.
14 SchülerInnen des Duisburger Elly-Heuss-Knapp-Gymnasiums verstärken in diesem Jahr die Runde der jugendlichen TeilnehmerInnen. Frische, unverblümte Blicke, die die Kompetenz der doku.klasse stählen! Auch ganz ohne den Harvard Business Manager im Abo zu haben, wissen wir schließlich wie Weiterentwicklung funktioniert.

Beim ersten Treffen der Marxloher SchülerInnen dabei war auch unser Praktikant Marlon Miketta. Als Freund des dokumentarischen Bewegtbildes hat ihn sein Weg unweigerlich zu doxs! – und damit auch zur doku.klasse geführt. Über seine Verstärkung schätzen wir uns glücklich, denn ein Freund des Schreibens ist er auch. Daher lassen wir euch hier mitlesen, was er von seinem Außentermin im Norden Duisburgs – bei dem tatsächlich auch ökonomische Aspekte eine Rolle spielten – zu berichten hat.

Von Marlon Miketta

Viele Fragen ertönen beim ersten Treffen der doku.klasse am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium. Im Rahmen eines Literaturkurses diskutieren die SchülerInnen über die Vorbereitung und den Verlauf einer Dokumentarfilm-Produktion – quasi als Trainingslager, um fit für die Debatten mit den alten Hasen der doku.klasse und den FilmemacherInnen im Oktober zu sein.
Bevor es bei den Treffen mit den diesjährigen StipendiatInnen ans Eingemachte geht, stattete also der Filmemacher Dirk Uhlig mit seinem Film „Am Ende der Milchstraße“ den SchülerInnen einen Besuch ab, um beispielhaft anhand seiner Produktion zu klären, wie die Arbeit an einem Dokumentarfilm überhaupt so genau funktioniert.

Schnell wird deutlich: Gute Vorbereitung ist die halbe Miete – auch als FilmemacherIn. Denn wer nicht gut vorausplant, erhält weder eine Finanzierung noch ein gutes Ergebnis. Script und Kostenkalkulation müssen angefertigt werden, und als das wahrscheinlich wichtigste stellt sich eine gründliche Recherche heraus.

Die Kostenkalkulation enthüllt den Preis des 97-minütigen Dokumentarfilms: „So viele Euros?!“ sagen die verblüfften Gesichter der SchülerInnen, in die ich schaue. Aber mit Aufschlüsselung der Kalkulation kommt die Erkenntnis: FilmemacherInnen schwimmen selten in Geld. Denn abgesehen davon, dass die Steuern noch abgezogen werden, nimmt die Produktion eines Dokumentarfilms meist sehr viel Zeit in Anspruch. In diesem Fall wurden insgesamt zweieinhalb Jahre benötigt, in denen rund 105 Stunden Videomaterial entstanden ist. 

Im Schnittraum galt es dann, diese 4,375 Tage (ja, ich habe es tatsächlich ausgerechnet) auf 97 Minuten zu reduzieren. Auch hier zahlt sich gute Vorbereitung aus: manche ProtagonistInnen reden viel und geben gerne und einiges von sich preis, manche eben nicht. Das sollte man berücksichtigen, also den Schnitt an die Charaktere anpassen.

Einem Schüler fällt beim Stichwort ProtagonistInnen etwas auf: „Warum sind die eigentlich in der Kostenkalkulation aufgeführt?“„Das Geld ist natürlich nicht als Honorar gedacht“, erklärt Dirk Uhlig, es ist als eine Option in die Kalkulation geschrieben, die dazu dient den ProtagonistInnen nach fertiggestelltem Film für Ihre Beteiligung am Projekt zu danken. Wir haben es für ein gemeinsames Fest im Dorf eingesetzt und jeder unserer Protagonisten hat einen symbolischen Betrag als eine Art Aufwandsentschädigung für den Zeitraum der Dreharbeiten erhalten.“
Nicht nur die Aufwandsentschädigung, sondern auch andere Kosten, die bei der Produktion eines Films anfallen, werden meist durch Filmförderungen finanziert. Dabei handelt es sich um öffentliche Einrichtungen, die alle Phasen der Filmproduktion von der Idee über die Drehbuchentwicklung bis hin zur Produktion und der Kinoauswertung mit finanziellen Mitteln unterstützen. Wer etwas vom Kuchen der Filmförderung abbekommen möchte, muss sich allerdings erstmal durch jede Menge Formulare und Anträge kämpfen. Und klar ist, sie setzen ihr Geld nur auf gute Ideen und gute Teams.

Aber wie kommt man eigentlich auf eine gute Idee? In diesem Fall entschied der Zufall. Dirk Uhlig besuchte nur Freunde, als er zum ersten Mal mit dem Co-Regisseur Leopold Grün das Dorf betrat. Der Ort, der Zusammenhalt der BewohnerInnen und das Prinzip des „Jeder hilft Jedem“ begeisterten sie. Die Idee zu „Am Ende der Milchstraße“ war geboren.

Im Laufe der Recherche entwickelt man als FilmemacherIn eine ungefähre Vorstellung davon, wie dieser Stoff filmisch bearbeitet werden kann. Aber was passiert eigentlich, wenn sich nach der anfänglichen Recherche etwas verändert? Beim vorliegenden Film sind zum Beispiel vor dem Drehstart zwei Bewohner verstorben, die als Protagonisten vorgesehen waren. Es passieren aber auch glückliche Zufälle: einen Protagonisten lernte das Team erst während der Dreharbeiten kennen. Auch die Einstellung der ProtagonistInnen zum Projekt kann sich ändern „Ein geplanter  Protagonist ist schon früh in der Recherchephase aus dem Projekt ausgestiegen, ein anderer ist dann während der laufenden Dreharbeiten dazugekommen.“ Schlussendlich gilt es, solche Veränderungen zu meistern: Spontanität gehört zum FilmemacherIn-Beruf unbedingt mit dazu.

Nach einem debattenreichen Nachmittag sind die Grundsteine gelegt. Für die nächste Sitzung sind die SchülerInnen gut vorbereitet und mit einem Lächeln für die Kamera verlassen sie den Raum. Wir sagen: bis bald!