Atelier

Plan B als Geschenk

Elke Margarete Lehrenkrauss eröffnete den Workshop zu ihrem Projekt „Smell of Fear“ mit einem Paukenschlag: Anders als im Treatment ist nicht Hongkong Schauplatz der Geschichte, sondern Hamburg. Und auch die Protagonistin hat gewechselt.

„Es ist unmöglich, in Hongkong zu drehen“, sagt Elke Margarete Lehrenkrauss. Selbst wenn sie eine Arbeitserlaubnis erhalten würde – was europäischen Filmemacher*innen zur Zeit faktisch verweigert wird –, müsste sie direkt vom Flughafen ins Hotel und dort mit einer Fußfessel 14 Tage lang ausharren. Für die Regisseurin hieß das: Planänderung. Sie machte sich in Deutschland auf die Suche nach einer neuen Protagonistin und wurde in Hamburg fündig, erst wenige Tage vor dem Workshop mit der doku.klasse.

Die 24-jährige Studentin Glacier ist für Lehrenkrauss die perfekte Wahl. Sie hat an den Umbrella-Protesten in Hongkong teilgenommen und war eine der Frontfrauen der Bewegung. Nach ihrem Umzug nach Deutschland demonstrierte sie vor dem Bundestag gegen die Übernahme ihrer Stadt durch Festlandchina und rief zu Sanktionen auf. „Glacier ist die Protagonistin, die ich in Hongkong gesucht habe, aber nicht finden konnte, weil sie längst im Gefängnis gelandet wäre.“ Mit ihr ist es möglich, Dinge direkt anzusprechen, ohne über eine zweite oder dritte Ebene gehen zu müssen, um sie nicht in Gefahr zu bringen. Doch ginge dadurch nicht auch etwas verloren, gibt eine Teilnehmerin zu bedenken. „Ich fand im Treatment“ , sagt sie, „den Konflikt der ursprünglichen Hauptfigur zwischen ihrer äußeren und inneren Sichtweise sehr spannend.“ Auch in Glacier fänden starke Konflikte statt, versichert Elke Margarete Lehrenkrauss. So würde sie sich in Momenten des Zweifels fragen, ob der politische Kampf auch wirklich den Preis wert sei, ihre Familie und ihren Freund sehr lange – vielleicht sogar nie mehr – wiederzusehen.

Für Dirk Uhlig ist es sehr interessant zu verfolgen, wie sich das Konzept eines Films durch eine Drehverweigerung fundamental verändert. „Diesem Gedankenprozess während unseres Workshops live beizuwohnen, ist total spannend.“ Die Regisseurin empfindet die veränderten Vorzeichen mittlerweile als Geschenk. Durch den neuen Ankerpunkt Deutschland würde das Hongkong-Thema zu einem Problem, das vor unserer Haustür passiert. „Das Leid, das den Leuten widerfährt, ist zu uns rübergekommen und verlangt von uns eine Haltung.“
Wie beim Dreh ihres preisgekrönten Films Lovemobil, den sie im ersten Teil der Online-Veranstaltung der doku.klasse vorstellte, will Elke Margarete Lehrenkrauss so schnell wie möglich „die Kamera ins Spiel bringen“, um Glacier an die Drehsituation zu gewöhnen. Ebenso plant sie, wieder mit einer Festoptik zu drehen. Der Grund: „Wenn die Kamera näher an die Protagonist*innen heran will, muss sie das physisch tun. Es gibt also nicht die Möglichkeit, sich aus sicherer Distanz an die Person heranzuzoomen. Das macht unsere Arbeit für die Protagonist*innen transparenter.“

Als eine zusätzliche dramaturgischen Ebene will Lehrenkrauss mit den Tagebüchern von Glacier arbeiten und Einträge daraus aus dem Off vorlesen lassen. „Das sind zugleich persönliche und politische Notizen, die Glaciers Leben in Hongkong und Deutschland auf eine poetische und emotionale Weise widerspiegeln.“ Um Hongkong auch visuell vorkommen zu lassen, würde die Regisseurin gerne mit einem Kamerateam vor Ort zusammenarbeiten. Es soll die Orte dokumentieren, die in Glaciers Erzählungen und Tagebüchern Erwähnung finden. Zudem sind Begegnungen und Interviews mit ihrer Familie und ihrem Freund geplant – auf anonymisierte Art, um sie vor Repressionen durch die Sicherheitsbehörden zu schützen.

Ob sie denn den Protagonistinnen-Wechsel aufgrund der Pandemie im Film thematisieren wolle, fragt eine Workshop-Teilnehmerin. Lehrenkrauss: „Corona als Filmthema packt mich nicht. Aber die Pandemie wird unvermeidlich sichtbar sein, wenn wir auf der Straße drehen. Dann weiß man, der Film ist aus dem Jahr 2020 oder 2021.“