2015

35 Stoffideen wurden für diese zweite Auflage der doku.klasse eingereicht. Mit welchen Projektvorschlägen die Stipendiaten begeistert haben, verraten die Kurztexte.

Maria Luisa | Eva Hausberger

Maria Luisa

Früher war sie eine Wasserratte. Doch jetzt meidet Maria Luisa das Meer. Zu viele Flüchtlinge fanden hier schon den Tod, um unbeschwert darin baden zu können. Die 19-Jährige lebt auf Malta und hat auf den ersten Blick alles, was man sich wünscht: In ihrem Elternhaus spielt Geld keine Rolle und sie, eine ausgezeichnete Schülerin, kann sich aussuchen, ob sie in Paris, London oder in den USA studieren will. Aber die Zukunft muss warten, die Gegenwart ist wichtiger. Maria Luisa rettet Flüchtlinge vor dem Ertrinken. Ihre Eltern kauften 2014 ein Schiff und fahren mit diesem seither bis nah vor die libysche Küste. Oft ist Maria Luisa mit an Bord. Den zahlreichen Pressevertretern gibt sie eloquent Interviews. Doch hinter der medialen Professionalität verbirgt sich eine Frau inmitten der ersten großen Umbruchphase des Lebens. Die klassischen Herausforderungen westlicher, gut situierter, junger Erwachsener machen auch vor ihr nicht Halt. Ein Film über eine doppelte Grenzerfahrung – an der Grenze Europas und an der Grenze zum Erwachsensein.

Freier Mensch | Andreas Hartmann

Andreas Hartmann

„Bevor ich nur lebe, um zu arbeiten, sterbe ich lieber“

Kei will frei sein und ist daheim ausgerissen. Mit einem großen Militärrucksack verließ er die japanische Insel Awaji und ging nach Kyoto. Sein neues Zuhause: eine Brücke. Jeden Morgen rollt der 22-Jährige seinen Schlafsack zusammen und verstaut ihn sorgfältig. Die Ersparnisse, die er dabei hatte, sind längst aufgebraucht. Um zu überleben, arbeitet er als Tagelöhner in einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Ein Bus sammelt ihn morgens ein und bringt ihn abends wieder zurück. „Meine Eltern sind Realisten, ich bin ein Romantiker“, sagt Kei lächelnd. Auch er hat versucht, „realistisch“ zu sein, studierte BWL, aber das war nichts für ihn. Seinen Traum von den Selbstverteidigungsstreitkräften musste er begraben, weil er krank wurde. Jetzt ist Kei frei. Frei für die Natur und die klassische Musik, die neben allem Militärischen seine große Leidenschaft ist. Doch wie hoch ist der Preis für die Freiheit?

Im Nest der Katze | Bernd Sahling

Im Nest der Katze

„Irgendwie war ich immer das Versuchskaninchen“

„Es sollte halt nicht sein.“ Anne musste ihr Psychologiestudium in Leipzig abbrechen. Nach vielen Jahren an der Uni war das Diplom eigentlich zum Greifen nah. Trotzdem klingt sie erleichtert, diese für sie nicht einfache Zeit hinter sich zu haben. Jetzt wohnt sie wieder bei ihren Eltern in Erfurt. Es ist kompliziert, Anschluss zu finden ohne Sehvermögen. Dennoch sieht Anne ihren Platz in der Welt der Sehenden. Sie will sich in keine Parallelwelt abschieben lassen. Bernd Sahling begleitet die junge Frau schon seit ihrer Kindheit mit der Kamera. Er dokumentierte ihr Aufwachsen in der DDR, wo es das Wort Inklusion noch nicht gab, und ihren Alltag in einer Klasse mit sehenden MitschülerInnen nach der Wende. Jetzt bereitet er einen weiteren Film über Anne vor. Es ist ein Blick zurück und eine Bestandsaufnahme der Gegenwart – geprägt von der Frage: Wie weit geht die Bereitschaft, sich an die Regeln der Sehenden anzupassen, um als Nichtsehende akzeptiert zu werden?