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Von Stoffen und Illustrationen

Seit Anfang des Projekts sorgt die Wahlberlinerin Julia Praschma jedes Jahr für einen neuen Look im doku.klasse-Universum. Höchste Zeit, um mit ihr über ihre kreative Arbeit zu sprechen.

Was machen Illustrator*innen – und wie bist du dazu gekommen?

Ganz einfach gesagt: Illustrator*innen machen Bilder. Und das in den verschiedensten Stilen und Techniken; sei es bunt oder schwarzweiß, einfach oder in komplexen Kompositionen, digital oder analog. Illustrationen finden Anwendung in Kampagnen, Produkten, Buchcovern, Werbematerial, Texten und Textilien – die Bandbreite ist vielfältig. Das Bildermachen war schon immer mein Ding. Ich habe viel und gern gezeichnet, vor allem in der letzten Bank in der Schule. Ursprünglich wollte ich Modedesign studieren, entschied mich dann aber für Kommunikationsdesign. An der Folkwang UdK in Essen habe ich im Rahmen meines Studiums alle notwendigen Gestaltungsgrundlagen im Bereich Fotografie, Design und Illustration gelernt. Bereits während des Studiums übernahm ich kleinere Jobs, gestaltete Flyer und Plakate für Veranstaltungen von Freund*innen, illustrierte für Magazine und war auch außerhalb der Uni kreativ tätig – sei es in Installationen, Bühnenbildern oder künstlerischen Workshops mit Kindern. Nach dem Studium zog ich schließlich nach Berlin. Dort habe ich mich dann ganz auf Illustration konzentriert.

Auf welcher Basis erstellst du deine (doku.klasse)Illustrationen?

Die Basis ist meine Intuition. Ein persönliches, ganz subjektives Gefühl, das ich bei den Themen empfinde und dem ich dann folge. In der Uni war es ein absolutes NoGo zu sagen, man hat etwas gestaltet, weil man es so gefühlt hat. Bei den meisten Projekten, für die ich jetzt angefragt werde, gibt es definierte Anforderungen und eine recht vorgeprägte Idee des finalen Produkts. Bei der doku.klasse ist das anders. Hier kann ich so richtig frei drehen und die absurdesten Bildideen umsetzen. Seit zehn Jahren darf ich schon für euch arbeiten, deswegen ist das Vertrauen in meine Arbeit da und das hilft mir, mich fallen zu lassen.

 

Wie geht der kreative Prozess dann weiter?

Wenn ich die Themen kriege, mache ich ganz grobe Bleistiftskizzen. Hier geht’s nur darum, meine ersten Gedanken festzuhalten: Die Bildidee und eine grobe Komposition zu verbildlichen. Zu Beginn gehe ich die von euch bereitgestellte Stichwortliste durch. Dann schaue ich, wo ich am ehesten hängen bleibe und mir direkt was einfällt. Am Ende wähle ich die besten Skizzen aus und gehe in die Umsetzung. Die erfolgt dann am Computer. Mit meinem Grafiktablet kann ich direkt auf dem Bildschirm zeichnen, was ein ziemlich authentisches Zeichenerlebnis vermittelt, ähnlich wie beim Zeichnen auf Papier.

Woher bekommst du die Ideen für die einzelnen Illustrationen und den Gesamtlook?

Für bestimmte Posen oder Objekte suche ich Bildvorlagen im Internet, um mich daran zu orientieren oder ich nutze eigenes Bildmaterial. Mittlerweile ist der Stil der doku.klasse Illus ja eher grafisch und rein illustrativ, aber in den Anfängen waren es noch Collagen. Damals habe ich teilweise Fotos von mir selbst oder von Freunden zerlegt und überzeichnet.

Wie kam es zu dem „illustrativeren“ Stil in deinen doxs!Bildern?

Im Jahr 2017 hatte die damalige Projektleitung einen Instagram Post von mir gesehen, in dem ich mal etwas Neues ausprobiert hatte. Dieser Look kam so gut an, dass ich ihn auch auf die doku.klasse anwenden sollte. Seitdem sind die Illus wesentlich farbenfroher. Anfangs waren sie nur in Blautönen gestaltet, passend zum Corporate Design.

 

Wie stark haben deine Arbeiten mit dir persönlich zu tun?

Früher habe ich Illustrationen als Ventil benutzt, um meine Gefühle nach außen zu tragen, quasi eine Art Selbsttherapie. Mittlerweile kommt es nur noch selten vor, dass ich die tiefsten Gefilde meines Seelenlebens oder Fotos von mir in meinen Illustrationen verarbeite. Aber bei einer der Illus in diesem Jahr habe ich tatsächlich ein sehr persönliches Foto als Vorlage verwendet. Es ist ein Foto von meinem Vater und mir zu Beginn der 1990erJahre, wie er mich auf den Schultern trägt. Das Foto ist für mich das totale Sinnbild für die Stärke und Sicherheit, die einem gegeben werden kann. So ein Gefühl ist mächtig und es kann dich für immer prägen. Mein Vater ist vor einigen Jahren gestorben, aber das Gefühl, dass er mich auf seinen Schultern durchs Leben trägt, bleibt für immer. Nicht alle Menschen haben das Privileg, dieses Gefühl von ihren Eltern mitgegeben zu bekommen. Die Illustration ist ein Versuch, dieses Gefühl zu vermitteln.

Fällt es dir manchmal schwer, Ideen zu finden? Wenn ja, was hilft dir bei der Inspiration?

Nach einer langen Zeit des NichtIllustrierens fühle ich mich in der Tat manchmal etwas schwergängig beim Start. Grundlegend hilft es einfach, im Training zu bleiben. Wie eine Musiker*in ihr Instrument üben muss oder eine Sportler*in ihre Bewegungsabläufe trainieren, so ist das eben auch beim Illustrieren: Man sollte den Zeichenmuskel immer schön warm halten. Und wenn man einmal im kreativen Flow ist, sollte man dem unbedingt folgen. Aber der kreative Kopf ist natürlich nicht unerschöpflich. Deswegen ist es wichtig, Pausen zu machen, zu ruhen, sich was Gutes zu tun, Leben zu leben. Energiereserven müssen zwischendurch unbedingt aufgeladen werden. Inspiration finde ich oft im Alltäglichen, ziehe sie aber auch aus anderen Bereichen und Disziplinen: Ausstellungen, Theater, Filme, Fotografie. Am besten ist es, sich regelmäßig mit Input zu füttern, dann kann man in den entsprechenden Momenten davon zehren. Wenn ich versuche, Dinge zu erzwingen, dann klappt meistens gar nichts. Die besten Ideen kommen mir, ehrlich gesagt, wenn ich am wenigsten damit rechne: Zum Beispiel abends vor dem Schlafen gehen oder beim Meditieren.

Ist der Austausch mit anderen auch Teil deiner Arbeit oder arbeitest du recht eigenständig?

Ich arbeite in der Regel alleine. Natürlich gibt es den Kontakt mit der Auftraggeber*in vorab, aber das ist meistens mit einer Mail oder einem Telefonat geklärt. Ich bin allerdings Teil einer tollen Studiogemeinschaft. Dieser Ort ist fast wie mein zweites zu Hause, die Menschen dort, mit denen ich mir die Räumlichkeiten teile, sind mittlerweile gute Freund*innen, Kamerad*innen, Genoss*innen. Ohne Community könnte ich mir mein Leben und meine Arbeit nicht vorstellen. Das Freelance Leben kann manchmal einsam sein, das private Ich und das JobIch verschmelzen oft. Sich austauschen und sich verstanden fühlen unter Gleichgesinnten, ist total hilfreich und bestärkend. Und mit einer guten Crew macht das Ganze gleich viel mehr Spaß!

Wie stehst du zu KI? Beeinflusst sie deine Tätigkeit?

Ich sehe die Vorteile und die Möglichkeiten, habe aber auch an manchen Stellen Vorbehalte. Mit Sicherheit macht KI vor allem im Bereich Text und Bildbearbeitung vieles einfacher und zugänglicher. Beim Urheberrecht kommen da aber große Fragezeichen auf und auch bei der Frage von geschaffenem Realismus, der so echt ist, dass man ihn kaum als Fälschung entlarven kann. Das stelle ich mir vor allem in Zusammenhang mit dem Thema Fake News sehr schwierig vor. Wo bekommt man die Garantie von Echtheit her? Insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass viele Menschen Dinge aus dem Internet nicht hinterfragen. Den Gedanken finde ich etwas besorgniserregend. Aber natürlich bin auch ich neugierig und habe etwas mit KI herumexperimentiert. Es ist verlockend, dass sich jetzt fantastische Welten im Handumdrehen visualisieren lassen. Für mich ist es vor allem interessant, einzelne, konkrete Bildelemente zu generieren und diese für meine Collagen zu nutzen. Ich habe allerdings noch nichts davon veröffentlicht.

Was würdest du Leuten empfehlen, die selbst Illustrator*innen werden möchten?

Mach dich auf die Suche nach deinem eigenen Stil! Versuche dabei, dich nicht zu sehr von außen irritieren zu lassen, und bleib bei dir. Deine Erfahrungen, dein Background und deine Sicht auf die Dinge sind einzigartig und gibt es so nicht noch mal. Nur Du bist Du und das ist deine Super power! Lass dich dabei gern inspirieren, aber Vorsicht, wenn du nur bei Instagram und Pinterest durchscrollst. Die Gefahr, dass du Vorhandenes reproduzierst, ist groß. Lass dich von anderen Disziplinen anregen: Gehe ins Museum, ins Theater, höre Musik, führe gute Gespräche und gehe mit offenen Augen durch die Welt. Als Illustrator*in, generell als künstlerisch und/oder selbstständige Person, braucht man einen verdammt langen Atem. Bei einigen wenigen mag der Durchbruch fix kommen, aber bei den meisten dauert es ewig, bis sie mit ihrer Arbeit solides Geld verdienen. Dinge, die man sich aneignen sollte – und das am besten früher als später – sind Disziplin, Selbstorganisation und sich selbst als Business zu begreifen. Hört sich unsexy an, ist aber so. Als Illustrator*in bist du Künstler*in, aber auch Dienstleister*in. Das ist manchmal ein schmaler Grat. Lass dich davon nicht aus dem Gleichgewicht bringen. Mir hat geholfen, mir einen separaten Arbeitsraum zu suchen und mich mit Gleichgesinnten zu umgeben. Mich hat das inspiriert und motiviert. Ich finde es wichtig, sich auszutauschen, auch über Schwierigkeiten, Misserfolge oder auch Dinge, die man nicht versteht. Aus Fehlern lernt man in der Regel am meisten, daran wächst man.

Interview mit Teilnehmenden

Seit einem Jahrzehnt bietet die doku.klasse zahlreichen talentierten Dokumentarist*innen die Möglichkeit, ihre kreativen Stimmen zu entfalten und ihre Geschichten zu erzählen. Mit einem Blick zurück auf die vergangenen Jahre und einem Fokus auf die Zukunft des Genres stellen wir die Frage: Welche Themen werden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen? Und wie können Filmemacher*innen ein junges Publikum für ihre Werke begeistern?

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„Jede Szene braucht noch etwas Liebe“

Der Stoff „Gesundbrunnen Odysseus“ von Kilian Helmbrecht handelt von der schwierigen Wohnungssuche in Berlin und der Frage, wo die Reise für den jungen Protagonisten Raffly nach dem Studium hingeht. Für den Regisseur ein Projekt, das Flexibilität verlangt. Der zweite Termin in der doku.klasse ist etwas zwischen Workshop und Rohschnittsichtung. Da 3sat die Drehtermine nach hinten verschoben hat, bleibt Kilian mehr Zeit für den finalen Schnitt. Eine gute Gelegenheit, sich in Duisburg zu treffen, den aktuellen Stand zu besprechen und vor allem Filmmaterial anzuschauen.

 

 

Der Rohschnitt kommt sehr gut an und die Erwartungen in Bezug auf die Präsentation des Protagonisten Raffly haben sich erfüllt. Auch beim zweiten Workshop mit Kilian Helmbrecht wird deutlich, wie viele Identifikationsmomente das Thema für die Gruppe bietet. Sei es die Wohnungssuche, die Überlegungen, was man am besten nach der Schule oder nach dem Studium macht, das Balancieren zwischen verschiedenen sozialen Rahmen oder ganz konkrete Erfahrungen mit Alltagsrassismus, die schon bei einem ungewöhnlichen Nachnamen spürbar sind. Thema ist auch die Präsenz von Kilian Helmbrecht selbst im Film. In der letzten doku.klasse nur theoretisch besprochen, sehen wir nun den Regisseur im Bild, hören seine Fragen an Raffly oder ihn die plötzliche Frage eines Passanten nach ihrer Herkunft beantworten: „Ruhrgebiet!“. Der transparente Ansatz des Cinema Vérité, den der Filmemacher hier wählt, wird als besonders passend empfunden. Es lasse, so der allgemeine Tenor, etwa die Wohnungsbesichtigungen authentisch wirken und verschleiere nicht, dass die Kamera anwesend ist und sogar einen Effekt auf das Ergebnis haben könnte. Einzelne Szenen werden genauer besprochen, wie etwa jene, in der Raffly beim Beten gezeigt wird. Eine Teilnehmerin merkt hier an, dass das selbstverständlich Teil seines Alltags ist, aber gerade dadurch, dass die Szene im Film ist, die Gefahr bestehen könnte, seine Religion besonders herauszustellen und sie daher gut eingebettet werden sollte. Das Resümee des Regisseurs: „Es ist noch ein bisschen was zu tun, aber ich habe heute eine Menge gute Ideen mitgenommen.“ Im

Anschluss an den Workshop führte doku.klasse Teilnehmerin Lena Tuitjer ein kurzes Interview mit Kilian Helmbrecht.

Wie hast du eigentlich deinen Protagonisten kennengelernt?

Über Leute, die ich zufällig mal in Hamburg kennengelernt habe und einfach ganz sympathisch fand. Über den Bekanntenkreis war ich dann mal in Berlin bei einem Kulturverein und habe dort mein Projekt vorgestellt. Raffly kam danach auf mich zu und sagte, er hätte Lust dazu.

Erzähl uns doch gern etwas über die bisherigen Dreharbeiten.

Was schon relativ früh bei dem Film klar war: Das Drehen wird genauso irre wie die Wohnungssuche in Berlin selbst. Man erwartet, dass man jemanden durch ein paar WGCastings begleitet. Dann wurde klar, es geht nicht um WGCastings, sondern eine Wohnungssuche. Der Zeitrahmen ist ein anderer. Es geht nicht um drei, sondern neun Monate. Da kann ganz viel passieren. Es deutet sich auch an, dass andere interessante Dinge passieren. Dann das Maß zu finden, dabei zu sein, aber nicht zu viel dabei zu sein – weil ich ja auch nicht die ganze Zeit danebenstehen und der Person auf die Nerven gehen will. Man muss sich also zurücknehmen und nur da sein, wenn es wirklich relevant ist. So kann man ja auch Vertrauen erzeugen.

Das ist dir offenbar gut gelungen!

Mir war es wichtig, einen Film zu machen, bei dem ich spüre, wie er entstanden ist und wie das Verhältnis zwischen Regie und Protagonist ist. Im Laufe des Drehs haben Raffly und ich uns dann auch miteinander angefreundet. Und ja: Man kann das auch spüren, dass es ein entspanntes und vertrautes Verhältnis ist.

Wie gefällt dir die Arbeit mit der doku.klasse bislang?

Das Spannende an der doku.klasse ist für mich, dass man, während ein Film entsteht, die Möglichkeit bekommt, sich darüber auszutauschen und den Film im Prozess gemeinsam mit dem Publikum zu schauen und wirklich in das Thema einzusteigen. Als ich letztes Jahr hier war, hatte ich gerade die ersten Drehtage hinter mir. Es war noch sehr, sehr offen, in welche Richtung sich dieser Stoff entwickelt. Es war nur schon klar, dass sich die Dinge nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte, ereignen würden. Was sich damals schon abzeichnete, war, dass die Dinge, die ich an dem Thema interessant finde, auch die Teilnehmer*innen der doku.klasse interessant finden. Es gibt da eine gemeinsame Schnittmenge. Es ist manchmal etwas sperrig, darüber zu reden. Aber vielleicht entsteht am Ende ja ein Film, der es schafft, ganz unsperrig darüber zu reden, indem eine Person dabei beobachtet wird, wie sie sich durch Berlin bewegt und versucht, einen Job, ein Visum und eine Wohnung zu finden.

Wir bleiben gespannt und freuen uns auf die Festivalpräsentation in 2024!

Durch Linse und Lasso in Vaters Land

Die doku.klasse traf sich im September zur Rohschnittsichtung des Dokumentarfilms „Vaterland“ von Antje Schneider und Carsten Waldbauer über ein außergewöhnliches Vater-Sohn-Gespann, das sich in Thüringen eine eigene Western-Welt aufgebaut hat.

 

 

Antje Schneider und Carsten Waldbauer berichten zu Beginn, wie sie Günni und Steffen während eines anderen Projekts kennenlernten und was sie dazu inspirierte, einen Film über sie zu drehen. Waldbauer fügt hinzu, dass er selbst alleinerziehend sei und seine persönlichen Erfahrungen in dieser Rolle die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten für ihn besonders interessant machten.

„Die beiden reden die ganze Zeit über ihr Tun, ihren Kosmos“, erklärt Antje Schneider. Daher wurden die filmischen Beobachtungen durch Interviews ergänzt, um tiefer in die Gedankenwelt der Prot agonisten einzutauchen. Auch gab es die Herausforderung, dass viele Szenen auf dem Pferd stattfinden, was die Dreharbeiten für den filmenden Waldbauer, aufgrund unterschiedlicher Höhen, erschwerte.

Bei der Rohschnittsichtung wird diskutiert, ob Steffens Träume auch die seines Sohnes Günni sind. In Szenen, in denen Günni allein agiert, zeigt er mehr Selbstbewusstsein und Freude an seinen Tätigkeiten. Er wirkt authentisch, während Steffen gemischte Gefühle bei der doku.klasse hervorruft. Günni zieht sich in einigen Szenen zurück, wenn Steffen in die Beantwortung einer Interviewfrage einsteigt. Die Vater-Sohn-Beziehung ist von zunehmender Reibung und leiser Rivalität geprägt. Die Frage nach Bildern, die mögliche Abnabelungsprozesse zeigen, wird aufgeworfen. Dazu würden eigene Hobbies und Zeit ohne Vater gehören.

Die doku.klasse hinterfragt kritisch die DJ-Szene am Ende des Films, da sie scheinbar nicht nahtlos integriert ist. Vorhandenes Material gibt Einblicke, insbesondere wenn man Günni leidenschaftlich am DJ-Pult beobachtet. Eine Welt unter Kopfhörern, zu der sein Vater keinen Zugang hat. Schneider und Waldbauer sind unsicher, ob dieses Material im finalen Film verbleiben sollte, da Günni das ursprüngliche Ziel nicht weiterverfolgt hat. Möglicherweise spiegeln die Bilder nicht mehr sein aktuelles Selbst. Während der Drehzeit blieb kein Raum für sein musikalisches Interesse und Günnis unbeschwerte Leichtigkeit wich einem zunehmenden Verantwortungsbewusstsein für die Finanzen und den Hof. Ist damit die Abnabelung gelungen? Sonntags unbeschwert ein Eis zu genießen ist ein Wunsch von Günni, doch bei so viel Verantwortung und Arbeit nicht so einfach machbar.

Und wo sind die Frauen? Das Fehlen von Frauenfiguren im Film wurde als mögliche Spiegelung der Welt von Günni und Steffen interpretiert, in der Frauen keinen festen Platz zu haben scheinen. Schneider berichtet, dass es im Leben von Günni zwar Freundinnen gab, diese jedoch in seinem Alltag keine feste Verankerung fanden. Neben dem raumeinnehmenden Hobby und den verschiedenen Unternehmen bleibt keine Zeit. Eine lebhafte Diskussion entfachte sich um den Titel des Films. Schneider und Waldbauer erwogen „Vaterland“ oder „Vatersland“, was die Frage aufwirft, ob Günni jemals ein eigenständiges Leben führen wird oder aus Interesse oder Verantwortungsbewusstsein in die Fußstapfen des Vaters tritt.

Die Pferdeflüsterer

Weltpremiere in Duisburg: Antje Schneider und Carsten Waldbauer präsentierten erstmals ihren Film „Vaterland“ vor Publikum. Und dieses war begeistert von dem Porträt über die beiden Thüringer Cowboys Günni und Steffen.

 

Diese Allianz bringt nichts auseinander. So scheint es zumindest. Derselbe Look, dieselbe Leidenschaft. Zwei Cowboys in der ostdeutschen Provinz: Steffen und Günni, Vater und Sohn. Bei der Vorführung von „Vaterland“ im Duisburger Filmforum konnten die beiden Protagonisten leider nicht persönlich dabei sein. Zu beschäftigt sind sie mit dem Betrieb ihrer Ranch, der keine Reise ins Ruhrgebiet zuließ.
Das wird auch im Film von Antje Schneider und Carsten Waldbauer sichtbar. Steffen und Günni sind pausenlos im Einsatz. Sie müssen die Pferde und ihre anderen Tiere versorgen und den Unterricht für ihre Schüler*innen organisieren, die sie mit dem Lasso auf Rinderjagd schicken. Dazu kommen ihr eigenes Training und die internationalen Roping Turniere, an denen sie teilnehmen. Und auch hier ist das Duo mit Herausforderungen konfrontiert: Bei einem Wettbewerb verletzt sich eines der Pferde und humpelt aus der Arena. Ein Schreckmoment, nicht nur wegen der sicher geglaubten Siegesprämie, die bereits in den Gesamthaushalt des Vater-Sohn-Unternehmens eingepreist ist.


„Vaterland“ ist ein kurzweiliges, dicht erzähltes Porträt. Aber wie kam es eigentlich zu dem Titel „Vaterland“, will ein Zuschauer wissen. „Als wir Steffen und Günni kennenlernten“, antwortete Antje Schneider, „haben wir uns gefragt, ob so ein Junge ein eigenes Leben hat. Er lebt ja sozusagen auf Vaters Land. Kommt er da jemals raus?“ Das Votum im vollen Kinosaal, in dem neben den 3satRedakteur*innen Nicole Baum, Daniel Schössler und Udo Bremer zahlreiche Schüler*innen des Steinbart Gymnasiums in Duisburg sowie des Gymnasiums in den Filder Benden in Moers saßen, fiel eindeutig aus: Günni wirke wie jemand, der aus freien Stücken sein Leben auf seines „Vaters Land“ verbringt. Keine Spur von Frust oder gar Zwang. In diesem Punkt unterscheiden sich Film und Konzept. Im Exposé, das 2022 in der doku.klasse diskutiert wurde, war eine wachsende Entfremdung zwischen Vater und Sohn angelegt. Günni hat darin eine Freundin, die seine Aufmerksamkeit vom Hof abzieht. Zudem werden seine Ambitionen als DJ erzählt, die ein Konfliktfeld zwischen Turntables und Trainingsplatz aufmachen. Aber weder die Beziehung noch die Platten kommen im fertigen Film vor. Für Antje Schneider und Carsten Waldbauer hatte das rein praktische Gründe: „Es gab Freundinnen im Leben von Günni, aber sie haben keinen wirklichen Platz, so sehr er sich das vielleicht wünschen würde. Das gleiche gilt für sein musikalisches Interesse. Er kam während der Drehzeit einfach nicht zum Auflegen. Die Unbeschwertheit, die Günni hatte, als wir ihn vor ein paar Jahren kennenlernten, ist weg. Stattdessen hat sich in ihm die Verantwortung für den Hof verfestigt.“
Ganz ohne Musik bleibt Günni aber nicht. Immer wieder summt und singt er einen alten Deep-Purple-Song. Eher ungewöhnlich für jemanden in seiner Generation, findet eine der Lehrerinnen im Publikum. Was es damit auf sich habe. Das käme aus seiner Kindheit, antworten Schneider und Waldbauer: „Das ist bei Günni hängengeblieben.“

Ungefähr 150 Stunden Material haben die beiden Filmemacher*innen gedreht und daraus 45 Minuten kondensiert. Einige Szenen, die noch in früheren Fassungen vorhanden waren, haben es nicht in den finalen Film geschafft. Moderatorin Aycha Riffi erinnert sich aus der Rohschnittsichtung mit der doku.klasse zum Beispiel an Zeitlupenaufnahmen.
Waldbauer: „Die haben wir wieder herausgeschnitten, weil sie mit dem Alltag der zwei nichts zu tun gehabt haben.“ Warum Steffen und Günni eigentlich bei dem Film mitgemacht hätten, fragt das Publikum. Eindeutige Antwort der Macher*innen: Weil sie gerne im Rampenlicht stehen. „Sie suchen in ihrem Sport eine Bühne.“ Eine Sorge von Schneider und Waldbauer war es, ob sie eben diesen Sport in ihren Aufnahmen auch korrekt abbilden. Entsprechend groß war die Nervosität, als sie den beiden Protagonisten eine vorläufige Fassung von Vaterland zeigten. „Steffen und Günni schienen aber in erster Linie überwältigt gewesen zu sein von sich und beschäftigten sich beim Schauen kaum mit Ropingtechnischen Fragen. Nur die Einstellung eines steigenden Pferdes ganz am Anfang nahmen wir auf ihren Wunsch wieder heraus. Die sah zwar cool aus, war fachlich aber falsch.“
Ganz begeistert waren die beiden Stipendiat*innen von ihrem Workshop in Duisburg. „Diese doku.klasse ist etwas Großartiges“, schwärmte Antje Schneider. „Die Gespräche und Diskussionen mit den Teilnehmer*innen haben riesigen Spaß gemacht. Und sie haben uns tatsächlich bei ganz vielen Fragen, die wir selbst an das Projekt hatten, geholfen.“

Liebe ist stärker

Die doku.klasse mit Felix Rier zu „Undine*“ war ein besonderer Tag, der allen Teilnehmenden im Gedächtnis bleibt. Undine* versucht, ihre seelischen und körperlichen Traumata, die durch sexuelle Gewalt verursacht wurden, zu verarbeiten. Felix Rier begleitet sie und hilft ihr damit.

Undine* wohnt im 21. Stock eines Hochhauses im Osten von Berlin. Es ist eine geschützte Welt dort oben, die sie mit ihrem Freund Thiago und dem gemeinsamen Labrador teilt. Sobald die Tanzlehrerin und Choreografin aber nach draußen tritt und in die kalt gefliesten U-Bahnschächte der Großstadt eintaucht, beginnt für sie eine Zone des Unbehagens und der Unsicherheit. Kurz nach ihrem 24. Geburtstag wurde Undine* Opfer sexueller Gewalt. Die Erfahrung riss in der jungen Frau tiefe physische und emotionale Wunden. Im Tanz und in einer Therapie sucht sie nach einem Weg aus dem Trauma. Doch erst als sie schwanger wird, scheint ein Wendepunkt erreicht – und in Undine* erwacht eine neue und innige Verbundenheit zu ihrem eigenen Körper.
Die Intimität, die diese Thematik mit sich bringt, ist auch in der kleinen Runde zu spüren, die sich getroffen hat, um erste Einblicke in Felix Riers Stoff zu erhalten.
Felix kennt Undine* aus Kindheitstagen. Sie kommen aus demselben Dorf in Südtirol, waren sogar die erste Liebe des jeweils anderen. Beide hat es nach Berlin verschlagen, wie Felix erzählt. Dort treffen sie sich wieder, eine enge Verbundenheit ist nach wie vor da.
Felix’ Ausbildung in einer Berliner Werbefirma entwickelt sich inhaltlich und auch moralisch für ihn zur Katastrophe, weshalb er den Kontakt zu Hannes Lang sucht – dem erfolgreichen Dokumentarfilmemacher aus Südtirol, dessen Stil Felix bewundert. Dieser hilft ihm nicht nur die richtige Entscheidung für seine weitere Ausbildung zu treffen, sondern gibt ihm auch die Möglichkeit, in seinem Film „Riafn“ als Tongestalter mitzuwirken.

Kurz bevor Felix dann zum Studium an die ZeLIG Dokumentarfilmschule nach Bozen gehen will, erfährt er, was Undine* widerfahren ist.

Im Krankenhaus berichtet sie ihm von der brutalen Vergewaltigung, die sie nur knapp überlebt hat. Auch in der doku.klasse ist die Anspannung zu spüren, als Felix dann seinen ersten Film präsentiert, der an der ZeLIG entstanden ist. „ein mann zu sein“ ist durch die Aufgabenstellung „Sound before image“ ein Brief an Undine*. Felix spricht von seiner Scham, von seinem Gefühl, während seine Freundin von dem Erlebten erzählt. Zu sehen ist nur ihr Auge in der direkten Reaktion auf Felix’ einfühlsame, aber auch verzweifelte Worte, die er selbst vorliest.
In der doku.klasse fällt es danach zunächst schwer, überhaupt Worte zu finden. Eine Teilnehmerin formuliert es so: „Bei so etwas Schrecklichem sagt man lieber gar nichts, bevor man etwas Falsches sagt.“ Umso überraschender ist dann der Teaser zu „Undine*“. Die Frau im Film empfinden alle als unglaublich starke und positive Person, die vor Kraft und Energie strotzt. Und das, obwohl Felix uns auch Momente des Verzweifelns und der Trauer zeigt. Undine* lebt in einer gesunden Beziehung mit ihrem Freund Thiago, hat eine funktionierende Therapie und schöpft viel Kraft aus ihrer Passion, die auch ihre Arbeit ist: das Tanzen. Die Tanzszenen, die Felix präsentiert, sind für alle maßgeblich für das Bild, das von der Protagonistin erschaffen wird. Deutlich wird aber auch, dass es vor allem die Verbindung von Felix und Undine* ist, die dieses Projekt so besonders macht. Ein Teilnehmer der doku.klasse nennt „Undine*“ deshalb einen „Film über eine Freundschaft“. Die Freundschaft, so berichtet Felix, ist erst nach und nach mehr auch vor die Kamera gerückt. Denn zu Beginn der Dreharbeiten war er vorwiegend stiller Betrachter, dann taucht er mehr und mehr als Freund und Gesprächspartner auf. Für die doku.klasse ist auffällig, wie sensibel Felix dabei auf seine Freundin und Protagonistin eingeht. Zuletzt präsentiert Felix noch Szenen aus einem Geburtsvorbereitungskurs, die in hellen Farben und mit glücklichen Gesichtern fast wie ein strahlendes Happy End wirken, denn Undine* ist schwanger. Felix erzählt, dass er selbst bei der Rückkehr der Eltern mit dem neugeborenen Baby aus dem Krankenhaus nach Hause die Glückstränen nicht zurückhalten konnte.

Es bleiben Fragen offen:

Wie soll der Film beginnen? Soll die Vergewaltigung direkt „auf die zwölf“ benannt werden? Drückt man der Protagonistin damit nicht den „Opferstempel“ auf? Wie soll der Film enden? Ist die Geburt des Babys nicht zu klischeebehaftet? Wie soll der Film heißen? Denn Undine* ist ein Pseudonym aus einem Zeitungsartikel, erfährt die doku.klasse. Deswegen auch das Sternchen. Diese Benennung ist hängen geblieben bei Felix – Undine, der weibliche, jungfräuliche Wassergeist, eine Sagengestalt. Was hat sich der Zeitungsjournalist dabei gedacht? Und ist Felix’ Freundin nicht viel mehr als diese Undine*, die durch die Vergewaltigung entstanden ist? Gerade darum geht es doch.
Die doku.klasse ist gespannt, wie Felix Rier diese gleichzeitig schreckliche und doch so beeindruckende Geschichte weiter erzählen wird.

Wer Veränderung möchte, sollte die Norm ändern

Um sich der Protagonistin Lotti und ihrem Umfeld anzunähern, bedient sich Regisseurin Lea Schlude der Familienaufstellung, einer Methode aus dem Bereich der Familientherapie, mit der zwischenmenschliche Beziehungen veranschaulicht werden. Die doku.klasse nutzt dafür kleine Tierfiguren, die die Regisseurin mitgebracht hat. Diese werden auf einem Tisch (der das Ruhrgebiet darstellt) angeordnet, um der Gruppe einen greifbaren Zugang zur Thematik ihres Projekts „Lotti auf Schicht“ zu ermöglichen.

 

Lotti ist eine Meisterin im Spagat und jongliert zwischen ihren verschiedenen Rollen. Als einzige Frau und queere Person in der Produktion eines führenden Stahlunternehmens im Ruhrgebiet behauptet sie sich in einer männerdominierten Welt und setzt sich als Betriebsrätin für eine grüne Transformation der Stahlindustrie ein. Nach Schichtende kümmert sie sich um ihren Vater. Ein Leben immer in Bewegung und unter Beobachtung. Von den Medien und vom firmeneigenen Marketing wird sie aufgrund ihres Geschlechts und ihrer sexuellen Identität als Role Model gefeiert. Im Kollegenkreis erfährt sie häufig Vorurteile und wird Zeugin von Homophobie und Sexismus. Doch die 26-Jährige geht mutig ihren Weg und sucht den Strukturwandel – auf allen Ebenen.
Dass Lea ein Gespür für das Zwischenmenschliche hat, zeigt sich bereits in ihrem Debütfilm „San Cipriano Road“ (2019) so wie im Recherchematerial zum neuen Stoff.

 

Mit dieser Beobachtung werden neue Figuren und Gegenstände angeordnet und mögliche Szenarien spielerisch dargestellt. „Lotti ist die Mandarine, weil sie unterschiedliche Kammern hat und Lotti so vielschichtig ist“, schlägt eine Teilnehmerin vor. Die Figur eines Tukans steht stellvertretend für vorherrschende Probleme im Arbeitsmilieu der Stahlindustrie, wie beispielsweise Sexismus und Alkoholismus. Die doku.klasse stellt die Frage, wie Lea die Probleme der Arbeitswelt authentisch einfangen will. Zudem wird hinterfragt, wie unbefangen Lotti vor der Kamera über ihre Erfahrungen sprechen kann. Lea vermutet, dass es eine Herausforderung sein könne, ehrliche Antworten von Lottis Kollegen zu genannten Problematiken einzufangen. Die Filmemacherin erklärt aber auch, dass Lotti ein gutes Standing in der Firma habe, für sich und den Betrieb einstehe. Lotti positioniert sich öffentlich für eine klimafreundliche Zukunft der Stahlindustrie und setzt sich für einen geschlechtergerechten und strukturellen Wandel in der Branche ein. Sie appelliert an ihre Firma, dass sie Veränderungen und Nachhaltigkeit zulassen muss. Im aktivistischen Kontext artikuliert sich Lotti sicherlich anders als im Umgang mit ihren Kollegen. Mit ihrer feministischen Haltung lässt sie sich jedoch von niemandem unterkriegen. Ursprünglich verschlug es die Regisseurin für einen anderen Film nach Gelsenkirchen. Sie zog dort in eine WG und lernte so ihre jetzige Protagonistin kennen. Lea will von der doku.klasse erfahren, welche Bilder zu vermeiden sind, wenn das Ruhrgebiet porträtiert wird. Schnell werden klischeehafte Darstellungen von Armut und grauer Industriekultur genannt. Auch der Gebrauch von Musikstücken, die vermeintlich mit den einzelnen Orten assoziiert werden, seien oft stereotypisch. Gemeinsam mit Lea sucht die doku.klasse nach repräsentativen Bildern und wünscht sich mehr private Einblicke in Lottis Leben. Der „Tag der Arbeit“ bietet für die Regisseurin zudem eine optimale Möglichkeit, die junge Generation in der Industrie zu Wort kommen zu lassen. „Ich will den Film für junge Leute erzählen, die überlegen, ob sie studieren wollen oder nicht und wie die Arbeitswelt und die Lohnarbeit aussieht und welche Perspektiven sie ihnen bietet“, bekräftigt Lea abschließend.

 

Auf Tauchstation

Auf Tauchstation „Das ist eine Geschichte, die es total wert ist, erzählt zu werden“, bekräftigt eine Teilnehmerin der doku.klasse am Endes des Treffens mit Regisseur Florian Baron und spricht damit wohl der gesamten Gruppe aus der Seele. Die doku.klasse trifft sich diesmal schon zu einem ganz frühen Zeitpunkt des Filmprozesses mit Florian, um über sein neues Projekt „Speara“ zu sprechen.

 

Ohne Sauerstoffflasche und nur mit einer Harpune macht sich Mitsuki auf die Jagd. Aufgewachsen in Japan, lebt die 26-jährige Meeresbiologie-Studentin seit einigen Jahren in Kalifornien und hat sich vom Newbie zur Weltrekordhalterin im Speerfischen entwickelt. Sie ist eine von wenigen Frauen in diesem Sport, der in den USA häufig von Ex-Soldaten ausgeübt wird. Für Mitsuki ist das Speerfischen weniger ein Wettbewerb als eine Lebenseinstellung. Als Kind wäre sie bei einem Schwimmunfall fast ertrunken und hielt sich danach bis zu ihrem 21. Lebensjahr vom Wasser fern. Auf Social Media weist sie auf die Effekte des Klimawandels hin und zeigt, wie man Fische voll verwertet. Das Porträt einer beeindruckenden jungen Frau, die dazu anregt, sich mit Fragen von Identität, Kultur und Geschlechterrollen auseinanderzusetzen.
Florian ist kein Unbekannter für die doku.klasse, denn sein Film „Joe Boots“ wurde bereits 2016 in der doku.klasse und dann im doxs! Festivalprogramm gezeigt. Man merkt, dass sich alle über das erneute Wiedersehen freuen und dass es heute nicht nur um das neue Filmprojekt gehen soll, sondern auch um Florians frühere Projekte und seine Herangehensweise an Dokumentarfilme. Er berichtet von seinem Bezug zu Japan, dem Land, in dem er nach dem Abitur einige Zeit gelebt hat und wo sein erster Dokumentarfilm entstanden ist. „The Video Market“ (2008), der die Verkäufer*innen auf einem Markt in Japan in den Fokus nimmt, wird bei der doku.klasse nochmal gezeigt und diskutiert. Für seine persönliche Entwicklung sei dieser Dreh sehr wichtig gewesen, erzählt Florian:

„Das war für mich wie ein Extremkurs Dokumentarfilm“

Die Teilnehmenden sind insbesondere davon fasziniert, wie der Prozess des Dokumentarfilmens selbst total transparent gemacht wird. Anschließend steht der Kurzfilm „Joe Boots“ im Fokus. Die ersten Reaktionen nach dem Sichten machen deutlich, dass es sich hier um einen ganz besonderen Film handelt. „Der geht richtig an die Nieren“, stellt eine Teilnehmerin fest. Joe Boots, der titelgebende Protagonist, ist ein amerikanischer Veteran, der an PTSD (Postraumatische Belastungsstörung) leidet. Die besondere Kraft des Films entfaltet sich durch die außergewöhnliche Narration von Joe, aber auch durch die immersiven Slow-Motion-Bilder, die Florian und sein Drehpartner Johannes Waltermann eingebaut haben.
Anhand von „Joe Boots“ debattiert die doku.klasse länger über die Bedeutung der Beziehung zwischen dem Filmschaffenden und dem Protagonisten. Gerade beim Dokumentarfilm ist dies ein ganz wichtiger Aspekt, da sind sich alle einig. Auch Florian erzählt, wie sich das Verhältnis im Laufe der Zeit gewandelt hat – inzwischen sind er und Joe quasi befreundet und waren gemeinsam auf Festivaltour. Das Kennenlernen von potenziellen Protagonist*innen sei immer etwas ganz Besonderes, so Florian – „denn keine zwei Protagonist*innen sind gleich“. An dieser Stelle wendet sich die doku.klasse dem neuen Filmprojekt zu, das Florian und Johannes gerade planen.
„Speara“, so lautet der aktuelle Arbeitstitel, die weibliche Bezeichnung eines Speerfischers. Und darum soll es auch gehen, um Mitsuki, eine Weltrekordhalterin im Speerfischen, die aus Japan kommt und in Los Angeles lebt. Florian berichtet, wie er über einen Zeitungsartikel auf Mitsuki aufmerksam geworden ist und sie dann über Instagram kontaktiert hat. Die Unterwasserwelt habe ihn schon immer fasziniert und Mitsuki als Protagonistin scheint für ihn viele spannende Aspekte zu vereinen: Was es bedeutet, sich als Frau in einer Männerdomäne zu beweisen, wie es ist, als Japanerin in Amerika zu leben und was das Speerfischen als nachhaltige Fischerei mit Klimawandel und Umweltschutz zu tun hat. Beim ersten Treffen hätten sie sich sofort verstanden, sogar absurde Gemeinsamkeiten festgestellt: So, wie Florian nach dem Abitur unbedingt aus Deutschland wegwollte und nach Japan gegangen ist, wollte Mitsuki unbedingt aus den Wertvorstellungen Japans ausbrechen und nach Amerika gehen. „Sie meinte dann beim Gespräch: Komm mit tauchen!“, und so konnte Florian Mitsuki beim Tauchen begleiten und Material für einen Teaser sammeln, den die doku.klasse gemeinsam schaut. Alle nehmen eine besondere Stimmung durch die Wasseraufnahmen wahr und es wird viel darüber diskutiert, wie sich die Unterwasserszenen beim tatsächlichen Dreh praktisch umsetzen lassen – schließlich sind weder Florian noch Johannes Taucher. Tatsächlich hätten sie aber bereits mit einem Tauchkurs begonnen, erzählt Florian. Außerdem geht es um die gesprochene Sprache in den Interviews. Es gäbe die Möglichkeit, mit Mitsuki auf Englisch oder Japanisch zu sprechen. Die doku.klasse ist sich einig, dass die Protagonistin selbst entscheiden sollte, mit welcher Sprache sie sich am wohlsten fühlt.
Die doku.klasse ist sehr gespannt, mehr von „Speara“ zu sehen und freut sich auf die Rohschnittsichtung, die vielleicht schon im nächsten Jahr stattfinden wird.