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Die Stipendiat*innen der doku.klasse 2023

Im Jubiläumsjahrgang der doku.klasse sind wir besonders glücklich über die neuen Stipendiat*innen. Aus den vielen spannenden Einreichungen wurden drei Stoffe ausgewählt. Wir begrüßen ganz herzlich Felix Rier, Florian Baron und Lea Schule im 10. Jahrgang der doku.klasse. 

Ausschreibung 2023: Die Karten werden neu gemischt!

Die doku.klasse freut sich auf den zehnten Jahrgang und lädt Dokumentarfilmer*innen ein, Filmprojekte im Rahmen der 3sat Ausschreibung „Ab 18!“ zu entwickeln. Auch in diesem Jahr werden kreative Ideen für Dokumentarfilme gesucht, die sich in besonderem Maße an junge Erwachsene richten.

Die doku.klasse bietet den Filmemacher*innen die Möglichkeit mit jungen filminteressierten Menschen in einen Dialog zu treten. Die ausgewählten Treatments werden vorab gelesen und im Rahmen eines Workshops zusammen in Duisburg diskutiert. Für die Stipendiat*innen eine Chance, die Themen und Sehgewohnheiten der jungen Teilnehmer*innen besser kennenzulernen und neue Potenziale in ihren Stoffen zu entdecken. Auch spätere Phasen des Projekts, wie Rohschnittsichtungen können im weiteren Verlauf in der doku.klasse besprochen werden. Zudem haben fünf Finalist*innen die Chance, ihren Film als Hörstück mit Deutschlandfunk Kultur zu realisieren.

Die doku.klasse ist ein Projekt von doxs! in Kooperation mit ZDF/3sat, dem Deutschlandfunk Kultur, der Grimme-Akademie und der FSF Berlin. Es wird gefördert vom Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW.

Bewerben können sich alle Filmemacher*innen, die sich an der aktuellen
„Ab 18!“ Ausschreibung von 3sat beteiligen.

Alle Informationen zur Bewerbung für die doku.klasse gibt es
hier.
Einsendeschluss ist der 1. Juni 2023.

Wir freuen uns jetzt schon auf die neuen Ideen und Projekte!

“Es wurde eine Grenze überschritten”

2021 präsentierte Robin Humboldt in der doku.klasse seinen Stoff  Only for the moment, konnte das Projekt jedoch nicht realisieren. Was die Gründe dafür waren, erzählt der Regisseur im Gespräch mit Aycha Riffi.

A: Wie entstand Idee zu einem Film über Alex? Und was war deine Motivation dafür?
R: Die Idee war, einen Langfilm zu machen, und lag schon ein paar Jahre zurück. 2016 haben wir Alex kennengelernt, einen jungen Mann, der in Stuttgart als Escort gearbeitet hat. Wir hatten damals den Plan, eine Art Milieustudie über männliche Prostitution zu drehen. Durch das Gerd Ruge Stipendium gab es die Möglichkeit, nach Stuttgart zu ziehen und dort in einer Anlaufstelle für Sexarbeiter*innen zu arbeiten. So lernten wir Alex kennen, der sofort aus der Gruppe herausstach. Er wirkte reifer, erwachsener, und Partys waren für ihn weniger zentral. Er war eher auf einer Sinnsuche und interessierte sich für Philosophie und Psychologie. Schnell wurde uns klar, dass er einer der Protagonisten werden könnte, auch, weil man mit ihm gute Gespräche führen konnte. Und dann haben wir Zeit investiert, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, zu ihm, aber auch zu seinem Umfeld, da wir ihn in seinem Alltag und in Interaktion mit Kollegen begleiten wollten. Erst war Alex clean, doch dann fing er wieder an, Drogen zu nehmen. Das setzte eine Abwärtsspirale in Gang, die letztendlich zu seiner Inhaftierung führte. Das war der Moment, an dem wir das Projekt zum ersten Mal auf Eis legen mussten. 

A: Dein 2014 erschienener Film Am Kölnberg, den du gemeinsam mit Laurentia Genske realisiert hast, war auch eine Art „Milieustudie“.  Was interessiert dich als Filmemacher an Menschen in mitunter auch sehr schwierigen Lebenssituationen?
R: Ich möchte mehr darüber erfahren, nicht auf eine voyeuristische Art, sondern manchmal auch voller Bewunderung. Denn einige Menschen legen einen Überlebenstrotz an den Tag, obwohl sie vielleicht nicht die besten Karten hatten, und schaffen es, nicht den Lebensmut zu verlieren. In Am Kölnberg gab es eine Frau, die heroinabhängig war und deren Tag mit Konsum und Beschaffung gefüllt war, die aber auch Gedichte schrieb und Bilder malte. Ich bewundere das, weil ich glaube, dass ich mich in dieser Situation gehen lassen würde. Dokumentarfilme bieten da eine gute Möglichkeit, Zuschauer*innen zu zeigen, welche Realitäten es in unserer Gesellschaft noch gibt.

A: Manchmal werden bestimmte Vorurteile bestätigt, aber es werden auch ganz viele nicht bestätigt und man sieht etwa, wie du es eben auch beschrieben hast, dass die Menschen unglaublich kreativ sind. Das war auch ein Punkt, der uns an deinem Exposé bzw. an Alex interessiert hat. Doch das Filmprojekt war dann alles andere als einfach für dich.
R: Ja, es kam dann die Nachricht, dass Alex einen Menschen umgebracht hat und inhaftiert wurde. Da war die Motivation dann erstmal zwei, drei Jahre komplett weg, weil dies natürlich sehr erschütternd war. Und darüber hinaus wollten wir keinen Film über einen Mordfall machen, sondern über einen Menschen – der uns ab da aber abhandengekommen ist.

A: Das heißt, dass es an dieser Stelle eine „rote Linie“ für dich gab?
R: Ja, in diesem Fall wurde eine Grenze überschritten. Ich war sogar Zeuge in seinem Prozess, weil ich über Facebook lange sein einziger Gesprächspartner war. Dadurch war ich viel tiefer drin, als ich es eigentlich wollte. Das Projekt lag anschließend lange in der Schublade, bis die Idee kam, es bei der 3sat Ausschreibung “Ab 18” einzureichen. Zwischenzeitlich stand ich mit Alex in Kontakt und merkte, dass er wieder clean war und dass es möglich ist, im Gefängnis Gespräche mit ihm zu führen. 

A: Im dokumentarischen Film gibt es fast immer zwei Dinge: Einen Plan, den man sich als Filmemacher*in vornimmt und das, was letztendlich passiert. Kannst du sagen, wie du dir den Film vorgestellt hast?
R: Der Film hätte zu weiten Teilen aus dem beobachtenden Filmmaterial bestanden, das wir in den Monaten, bevor es zum Mord kam, gedreht hatten. Ergänzt hätten wir das in einer zweiten Ebene mit den Nachrichten, die er mir geschickt hat. Das waren starke Texte mit einer poetischen und literarischen Kraft. Dadurch hatten wir die Möglichkeit, aus seiner Perspektive zu erzählen und ihm auch eine Stärke zu geben.

A: Wir trafen uns mit der doku.klasse in Duisburg im Herbst 2021. Da warst du gerade mitten im Filmprojekt. Wieso hast du dich darauf eingelassen, mit uns über dein Exposé zu reden und deine Pläne und Ideen mit der doku.klasse zu teilen?
R: Es ist schwierig, wenn man eigentlich noch mitten in einem Schaffensprozess ist und dann zwischendurch Feedback bekommt. In dem Fall war es gut, weil wir schon einen ganzen Block des Films hatten. Zu dem Zeitpunkt war ich auch noch total offen, was die Form anging und war gespannt, mit jungen Menschen darüber reden zu können und zu erfahren, was sie an Alex fasziniert. Nach dem doku.klasse-Workshop hatte ich das Gefühl, dass sich die Leute dafür interessieren und es ein runder Film wird. Vorher war ich mir da nicht sicher, ob das über den schrecklichen Vorfall hinaus klappen könnte.

A: Machst du Filme für ein bestimmtes Publikum oder spielt das erstmal keine Rolle?
R: Darüber habe ich mir bisher noch nicht viele Gedanken gemacht. Man sagt, Dokumentarfilme werden eher von älteren Menschen geguckt. Aber ich glaube, man macht es eher für Leute in seinem eigenen Alter. Ich will, dass der Film Leuten aus meinem Umfeld gefällt, und sie sind auch ein Maßstab. Also wenn ich merke, meine Freunde würden sich das gar nicht angucken, dann würde ich daran zweifeln, ob es gut ist. Wobei, wenn man eine Idee aufschreibt, sind die Adressat*innen erstmal Auswahlgremien und Sendervertreter*innen, die zunächst von dem Vorhaben überzeugt werden müssen.

A: Was wir bei deinem Stoff wirklich lernen und sehen können, ist, dass Zeit eine große Rolle spielt, ebenso Zufall und Glück. Diese Faktoren sind häufig entscheidend beim Dokumentarfilm und kommen bei deinem Stoff wirklich sehr stark zum Tragen. Wann ist die Entscheidung gefallen, dass der Film nicht zu Ende gedreht wird?
R: In dem Fall hat es der Protagonist selbst entschieden. Wir hatten nach fast einem Jahr Überzeugungsarbeit und zahlreichen Briefen und Telefonaten an das Justizministerium die Genehmigung, in der JVA zu filmen. Es gab viele Vorgespräche mit Alex, und der Dreh stand. Am ersten Drehtag hat er sich dann entschieden, doch nicht zu erscheinen. Man muss dazu sagen, dass er sich zu diesem Zeitpunkt seinem Alltag in der Haft komplett verweigert hat und zwischenzeitlich auch im Krankenhaus war. Aber ich weiß nicht, was ihn letztendlich dazu bewogen hat. Kurz vorher war er noch froh, dass es mit dem Film weiterging, und ich hatte das Gefühl, dass es eine Bereicherung für ihn sei, sich wieder äußern zu können Aber dann reagierte er nicht mehr auf meine Briefe. Ab dem Moment war klar, dass wir auch das alte Material nicht mehr verwenden werden.

A: Du hast so unglaublich viel Zeit und unbezahlte Arbeit in das Projekt gesteckt. Wie geht das, mit so etwas abzuschließen? Und hast du dich auf professioneller und/oder emotionaler Ebene von Alex verabschieden können?
R: Es ist schwierig, abzuschließen, und ich fühle mich durch die gemeinsame Zeit noch mit Alex verbunden. Andererseits hoffe ich aber auch, abschließen zu können. Es war manchmal eine sehr ambivalente Entscheidung, wie der Kontakt gehalten werden kann, um mit dem Film weitermachen zu können. Es ist beispielsweise wichtig, die Entscheidung zu treffen, welche Kontaktdaten man selbst weitergibt – die Büro- oder Wohnungsadresse? Und so entsteht natürlich auch ein Ungleichgewicht. Und das hat auch Alex gespürt. Das war vielleicht ein Punkt, an dem für ihn das Vertrauensverhältnis auch nicht mehr komplett da war. 

A: Das ist total nachvollziehbar von beiden Seiten. Ich frage mich in dem Kontext, ob man in der Filmschule auf das Arbeiten mit Protagonist*innen vorbereitet wird. Man hat mit realen Menschen zu tun und muss mitunter schwierige Entscheidungen treffen. Haben die aktuellen Erfahrungen Einfluss auf deine Arbeit als Filmemacher?
R: Meine Tendenz geht dahin, dass ich mir bei allen zukünftigen Projekten die Frage stelle, was es mit meiner eigenen Psyche macht. Kann ich so lange Zeit mit den Menschen an den Orten verbringen? Gibt es auch mal „schönere Orte“, wo es auch interessante Geschichten gibt? Viele Filmemacher*innen machen ja auch einen Mix und wechseln die Genres. Was auch abgewogen werden muss, ist die intensive unbezahlte Arbeit, bei der man ohne finanzielle Sicherheit weit in Vorkasse gehen muss. Oft sind es andere Jobs, die es erlauben, Zeit in den Dokumentarfilm zu stecken.

A: Respekt dafür, dass du so lange an dem Filmvorhaben festgehalten hast. Im Workshop mit der doku.klasse waren wir sehr angetan von deinem Exposé, und Alex’ Geschichte ist uns sehr nahe gegangen. Und mit der Beschäftigung haben wir – so denke ich – Einiges erfahren und lernen können. Herzlichen Dank dafür und für das Interview!




Ist die Zukunft schon da?

Wenn die Science Fiction den Status Quo überholt: Bei der Abschlusspräsentation der doku.klasse zeigte Katharina Pethke ihren neuen Film “Uncanny me”, der die schier endlosen Möglichkeiten der Digitalisierung auslotet.

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Like Father, Like Son

Im Rahmen des Workshops zum Stoff Vaterland von Antje Schneider und Carsten Waldbauer lernt die doku.klasse die beiden Protagonisten des Dokumentarfilmes kennen: den heute 23 Jahre alten Günther (Günni) und seinen Vater Steffen. Anhand der ersten Filmausschnitte wird deutlich: es handelt es sich um eine ganz besondere Vater-Sohn-Beziehung.

Mitten in Deutschland befindet sich ein zweites Amerika: die Ranch von Vater Steffen. Hier lernen Einsteiger das amerikanische Reiten und Fortgeschrittene üben sich darin, Rinder zu fangen. Günni und Steffen trainieren fast täglich das Reiten und das sogenannte Roping. Die beiden Männer leben bereits seit 10 Jahren ohne Günnis leibliche Mutter. Schon vor der Trennung lebte er vor allem nach dem Vorbild seines Vaters – ganz im Sinne eines freiheitliebenden Cowboys.

Antje und Carsten möchten den Betrachter:innen  die Höhen und Tiefen der Beziehung zwischen Günni und Steffen zeigen. Denn die enge Verbindung der beiden birgt auch Konfliktpotenzial. Dass sich die Reibung zwischen den beiden Protagonisten auch mal zu einer leichten Rivalität steigern kann, sieht man vor allem an Szenen, in denen die beiden gemeinsam trainieren. Der Ton des Vaters wird da oft rauer und fordernder. Die doku.klasse stellt sich die Frage: Empfindet Günni es als Abhängigkeit vom Vater und wenn ja, wie wird er damit umgehen?

Das bisher entstandene Filmmaterial beantwortet die Frage schon in Ansätzen, zum Beispiel, wenn man Günni dabei beobachtet, wie er am DJ-Pult steht und leidenschaftlich seine Musik mischt. Es scheint ein Teil von seinem Leben zu sein, der von den Wünschen und Erwartungen seines Vaters unberührt bleibt. Günni kann in seine ganz eigene Welt abtauchen. Antje und Carsten gehen der Frage nach, ob sich Günni langsam von seinem Vater entfernt oder ob die Zweisamkeit auch seiner Vorstellung vom Leben entspricht. Da die Filmemacher:innen noch auf der Suche nach möglichen Bildern dafür sind, fragen sie die Teilnehmer:innen der doku.klasse: „Was ist für euch ein Moment, der das Loslösen von den Eltern verbildlicht? Habt ihr eine Situation vor Augen, die diesen Zustand beschreiben kann?“ Einer Teilnehmerin fällt etwas aus ihrer eigenen Erfahrung dazu ein: „Ich glaube, vor allem die räumliche Trennung war bei mir das Ausschlaggebende, das mich zu einer eigenständigen Person gemacht hat.“ Und auch Günni ist gerade dabei sich eine eigene Wohnung am Hof zu schaffen. Eine andere Teilnehmerin berichtet, dass das gemeinsame Essen mit der Familie plötzlich im Alltag wegfiel, als sie anfing für sich selbst zu kochen. Derzeit verbringen Günni und Steffen gerne gemeinsam einen Abend auf der Couch, schauen Filme und bestellen sich Pizza. Günni sehnt sich aber auch immer öfter danach, mit seiner Freundin Zeit zu verbringen oder ein Eis essen zu gehen. Antje und Carsten müssen nun für sich entscheiden, welche Situationen sie genauer unter die Lupe nehmen wollen.

Günni und Steffen tragen ihr gegenseitiges Versprechen auf ewigen Zusammenhalt als Tätowierung auf der Haut: Dasselbe Bild, jeder Strich, bis ins kleinste Detail. Zum Tattoo-Termin haben die Protagonisten die Filmemacher:innen nicht eingeladen, weil ihnen die Symbolschwere dieser Situation nicht bewusst war. 2023 möchten Vater und Sohn in die Staaten fliegen, um gemeinsam bei einem Roping Wettbewerb anzutreten. Die doku.klasse wünscht Antje Schneider und Carsten Waldbauer, dass sie bei diesem Event und anderen Gelegenheiten viele weitere, aussagekräftige Bilder einfangen können und freut sich den fertigen Film zu sehen.

Wenn Plan B nicht funktioniert, gibt es eben Plan C

Kilian Helmbrechts zweiter doku.klasse-Stoff handelt von einer Odyssee auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Das Treatment liefert mehrere Szenarien und Optionen, wie sich die Suche gestalten könnte. Ein Kernelement des dokumentarischen Arbeitens wird hier bereits offengelegt. 

Große Klappe 2022

Auf die Frage, wie er mit der Ungewissheit beim Filmemachen umgeht, antwortet Kilian selbstbewusst: „Ich muss mir die Erlaubnis geben zu scheitern.“ Sein Projekt Gesundbrunnen” erfordert eine große Flexibilität, denn es ist unklar, wie schnell sein Protagonist nach dem Studium eine Wohnung finden wird. Die Aussichten sind eher schlecht: 500 Euro für 8 Quadratmeter. Die explodierenden Mietpreise und der knappe Wohnraum machen es fast unmöglich, in Großstädten bezahlbar leben zu können. Das Thema findet sofort großen Anklang in der doku.klasse. Auch wenn man nicht wie Raffly in Berlin wohnt, sei die Geschichte total nachvollziehbar. Die Teilnehmer*innen berichten von ihren eigenen Erfahrungen bei WG-Castings und enttäuschenden Besichtigungen.

Einige können auch bestätigen, dass es mit einem nicht deutsch klingenden Namen schwieriger sei, eine positive Rückmeldung zu bekommen. Diese zusätzlichen Hürden und der Alltagsrassismus zwingen Raffly verschiedene Strategien der Anpassung zu entwickeln. Er wechselt zwischen verschiedenen Persönlichkeiten in der Uni, seiner indonesischen Familie, der muslimischen Gemeinde, in seinem Berliner Freundeskreis oder in Bewerbungskontexten. Laut Regisseur sollen diese Diskrepanzen sichtbar, aber nicht zur Schau gestellt werden. Besonders wichtig ist Kilian Helmbrecht die Frage nach der Repräsentation. Da sein Blick auf den “echten” Raffly immer verstellt sei, will er ihn dazu selbst befragen und zu Wort kommen lassen.

Die doku.klasse erhält die Möglichkeit, erste Aufnahmen zu sichten, wie Raffly sich in seinem Studentenheim einrichtet. Das Publikum beobachtet ihn beim Auspacken der Matratze oder auch wenn Kilian ihm das Mikrofon ansteckt. Seine Fragen an Raffly sind aus dem Off hörbar. Gemeinsam bespricht die doku.klasse die Präsenz von Filmemacher*innen im Dokumentarfilm. Im Gegensatz zur beobachtenden Kamera, als Fliege an der Wand, soll die Kamera in dem Stoff nicht verborgen bleiben. Der Filmemacher ist inspiriert vom Cinema verité und möchte die eigene Präsenz im Film transparent machen. Er verweist in dem Kontext auf den Dokumentarfilm NO FUTURE – Kein Bock auf Illusionen (1981) von Michael Braun. Darin werden Punks in Duisburg und ihr Umfeld auf authentische Weise porträtiert, während der Regisseur selbst im Bild zu sehen. Für Kilian Helmbrecht bedeutet das, dass initiierte Momente miterzählt und keinesfalls kaschiert werden. So soll etwa transparent gemacht werden, wenn das Filmteam ins Geschehen eingreift und fragt, ob es beim WG-Casting dabei sein und filmen darf. Die doku.klasse hinterfragt dabei, ob die Präsenz der Kamera nicht einen Einfluss auf Rafflys Chancen bei der Wohnungssuche haben könnte, findet den transparenten Umgang aber sehr positiv. 

 Verständnis gegenüber den Protagonisten aufzubringen, lernte Kilian Helmbrecht unter anderem bei den Dreharbeiten zu Einmannland, der 2016 in der doku.klasse besprochen wurde. Die Erfahrung, in dem Film selbst Protagonist gewesen zu sein, helfe ihm, Respekt vor den Protagonist*innen zu haben. Die doku.klasse bleibt gespannt auf das Ergebnis und wünscht Raffly viel Erfolg für sein kompliziertes Vorhaben.




Ich bin nicht nur ich, sondern ich bin die Tiere

Der aktuelle Stoff WIR TIERE von Angelika Herta konfrontiert die
doku.klasse mit verschiedenen grundsätzlichen Fragen: Warum sieht sich
der Mensch in der Hierarchie häufig an oberster Stelle? Warum
identifizieren sich viele Menschen überhaupt nicht als Tiere? Wie gestaltet
sich eine freundschaftliche Beziehung zwischen Mensch und Tier?

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Das Bild in der Hand

2017 waren Andreas Bolm und Gerd Breiter mit “Mein letztes Video” zu Gast in der doku.klasse. Darin porträtieren sie einen erfolgreichen YouTuber. Im Rahmen des von der Duisburger Filmwoche und doxs! gemeinsam veranstalteten 3sat Extras „Das Bild in der Hand“ gab es im November 2022 ein Wiedersehen mit Andreas Bolm. Auszüge aus dem Gesprächsprotokoll.

Schon immer war die Medienkompetenz von Protagonist*innen eine Herausforderung dokumentarischen Arbeitens – durch die Omnipräsenz und Demokratisierung der Bilder in den Sozialen Medien hat sie eine neue Qualität erreicht. Wie gehen Dokumentarfilmer*innen damit um? Wie und wie so jemanden porträtieren, der bereits eigenständig ein Bild von sich in die Welt sendet? Welches Potenzial liegt in der vermeintlichen Konkurrenz der Bildregime? 

Diese Fragen diskutieren Andreas Bolm und die Editorin Yana Höhnerbach (Searching Eva) in dem 3sat Extra Das Bild in der Hand. Dokumentarische Zugänge zum Bildregime Social Media, das von der SPIEGEL-Redakteurin Hannah Pilarczyk moderiert wird.

 Nach einem Ausschnitt aus Mein letztes Video, in dem die Hauptfigur Anton sagt, sie wolle Regisseur werden, fragt Pilarczyk Bolm: „Wie begegnet man einem Protagonisten, der eigentlich schon Regisseur ist?“ Bolm war bis zu einem gewissen Grad eher neugierig an Anton. Er hat sich sehr viel mit Fiktion und Inszenierung von Social Media auseinandergesetzt. Anton ist Profi in dieser Selbstdarstellung. „In welchen Momenten hat Anton kontrolliert?“ will Pilarczyk wissen. Bolm: „In allen.“ Manchmal hat er versucht, ihn ein bisschen aufs Glatteis zu führen.

Anton sagte: „Man kann alles machen, man muss es nur wollen“. Bolm und sein Co-Regisseur und Kameramann Gerd Breiter wollten dies hinterfragen im Konzept, aber der Plan ging nicht auf. Man hätte sich auch eine Schauspielrolle für Anton ausdenken können, er wäre dafür bereit gewesen.

Ein weiterer Ausschnitt aus dem Film zeigt den Protagonisten, wie er seinen Karrierewechsel in Hollywood anstrebt. Als er diese Entscheidung für seine Follower*innen auf einer Wohnungsterrasse aufzeichnet, filmt ihn das Filmteam. Man hört Hubschrauber und Polizeisirenen. Anton: „Von daher – Los Angeles wird gelebt.“

Pilarczyk sieht in dieser Einstellung ein „Pas de deux“ der zwei Kameras – wie sind Bolm und sein Team da vorgegangen?

Bolm erzählt, dass Anton zu diesem Zeitpunkt mit Youtube aufhören und Hollywood-Blockbuster-Regisseur werden wollte. Er fand diese Leidenschaft faszinierend, „wie Anton in etwas Neues hineingeht.“ Mit langen Einstellungen und dem Mitgehen der Kamerabewegung Antons brachen die beiden Kameraästhetiken auf. Es entsteht im Film eine Spannung, die konträr läuft zu dem, was Anton macht, der sich in seinen Videos immer selbst inszeniert. „Wie konnten sie sich da mit Antons ästhetischen Vorgaben arrangieren?“, fragt Pilarczyk. Bolm sagt, Anton kannte Gerd Breiter schon und hatte Respekt vor dessen Kameraarbeit, also gab es keine Vorgaben. Sie hätten zwar viele Interviews geführt, aber genau bei diesen Bewegungen konnte man mehr über Anton ergründen.

Das komplette Protokoll von Marius Hrdy findet sich auf protokult.de.




Die Stipendiat*innen der doku.klasse 2022

Voller Vorfreude begrüßen wir die neuen Stipendiat*innen des neunten Jahrgangs der doku.klasse! Auch in diesem Jahr wurden viele spannende und interessante Themen eingereicht. Angelika Herta, Antje Schneider & Carsten Waldbauer und Kilian Helmbrecht konnten mit ihren Stoffen besonders überzeugen.