Atelier

Durch Linse und Lasso in Vaters Land

Die doku.klasse traf sich im September zur Rohschnittsichtung des Dokumentarfilms „Vaterland“ von Antje Schneider und Carsten Waldbauer über ein außergewöhnliches Vater-Sohn-Gespann, das sich in Thüringen eine eigene Western-Welt aufgebaut hat.

 

 

Antje Schneider und Carsten Waldbauer berichten zu Beginn, wie sie Günni und Steffen während eines anderen Projekts kennenlernten und was sie dazu inspirierte, einen Film über sie zu drehen. Waldbauer fügt hinzu, dass er selbst alleinerziehend sei und seine persönlichen Erfahrungen in dieser Rolle die Beziehung zwischen den beiden Protagonisten für ihn besonders interessant machten.

„Die beiden reden die ganze Zeit über ihr Tun, ihren Kosmos“, erklärt Antje Schneider. Daher wurden die filmischen Beobachtungen durch Interviews ergänzt, um tiefer in die Gedankenwelt der Prot agonisten einzutauchen. Auch gab es die Herausforderung, dass viele Szenen auf dem Pferd stattfinden, was die Dreharbeiten für den filmenden Waldbauer, aufgrund unterschiedlicher Höhen, erschwerte.

Bei der Rohschnittsichtung wird diskutiert, ob Steffens Träume auch die seines Sohnes Günni sind. In Szenen, in denen Günni allein agiert, zeigt er mehr Selbstbewusstsein und Freude an seinen Tätigkeiten. Er wirkt authentisch, während Steffen gemischte Gefühle bei der doku.klasse hervorruft. Günni zieht sich in einigen Szenen zurück, wenn Steffen in die Beantwortung einer Interviewfrage einsteigt. Die Vater-Sohn-Beziehung ist von zunehmender Reibung und leiser Rivalität geprägt. Die Frage nach Bildern, die mögliche Abnabelungsprozesse zeigen, wird aufgeworfen. Dazu würden eigene Hobbies und Zeit ohne Vater gehören.

Die doku.klasse hinterfragt kritisch die DJ-Szene am Ende des Films, da sie scheinbar nicht nahtlos integriert ist. Vorhandenes Material gibt Einblicke, insbesondere wenn man Günni leidenschaftlich am DJ-Pult beobachtet. Eine Welt unter Kopfhörern, zu der sein Vater keinen Zugang hat. Schneider und Waldbauer sind unsicher, ob dieses Material im finalen Film verbleiben sollte, da Günni das ursprüngliche Ziel nicht weiterverfolgt hat. Möglicherweise spiegeln die Bilder nicht mehr sein aktuelles Selbst. Während der Drehzeit blieb kein Raum für sein musikalisches Interesse und Günnis unbeschwerte Leichtigkeit wich einem zunehmenden Verantwortungsbewusstsein für die Finanzen und den Hof. Ist damit die Abnabelung gelungen? Sonntags unbeschwert ein Eis zu genießen ist ein Wunsch von Günni, doch bei so viel Verantwortung und Arbeit nicht so einfach machbar.

Und wo sind die Frauen? Das Fehlen von Frauenfiguren im Film wurde als mögliche Spiegelung der Welt von Günni und Steffen interpretiert, in der Frauen keinen festen Platz zu haben scheinen. Schneider berichtet, dass es im Leben von Günni zwar Freundinnen gab, diese jedoch in seinem Alltag keine feste Verankerung fanden. Neben dem raumeinnehmenden Hobby und den verschiedenen Unternehmen bleibt keine Zeit. Eine lebhafte Diskussion entfachte sich um den Titel des Films. Schneider und Waldbauer erwogen „Vaterland“ oder „Vatersland“, was die Frage aufwirft, ob Günni jemals ein eigenständiges Leben führen wird oder aus Interesse oder Verantwortungsbewusstsein in die Fußstapfen des Vaters tritt.